Der ehemalige FDP-Fraktionsvorsitzende im Vilbels Stadtparlament, Hartmut Gross, wendet sich mit einem offenen Brief gegen städtische Beteiligungen an Windkraftanlagen. Er fordert einen Ausstieg der Stadtwerke aus den bestehenden Verträgen.
Bad Vilbel. Von 1991 bis 1995 saß Hartmut Groß, inzwischen wohnhaft in Nieder-Erlenbach, für die FDP im Vilbeler Parlament. Seit Jahren bereits kämpft er gegen Investitionen in Windkraft, sieht die Technik als unausgereift an. Adressaten eines offenen Briefes von ihm sind Aufsichtsratsmitglieder der Stadtwerke, der Ortsvorsteher der Kernstadt Kurt Liebermeister sowie Bürgermeister Thomas Stöhr (beide CDU).
„Immer wieder einmal“ wirft der Freidemokrat und pensionierte Maschinenbauingenieur einen Blick auf seine einstige politische Wirkungsstätte. Das Engagement der Stadtwerke bei Windkraftanlagen ist ihm ein Dorn im Auge. Laut Groß „häufen sich Meldungen, die eine große Unwirtschaftlichkeit, unvertretbare Umweltzerstörung und Landschaftsverschandelung beinhalten“. Schon jetzt gäbe es so viele Windkraftanlagen, dass der erzeugte Strom zu „Negativpreisen“ ins Ausland „verklappt“ werden müsse.
Anlagen „abregeln“
Die Anlagen müssten „abgeregelt“ werden, schreibt er, und nennt Zahlen: „Die Betreiber bekommen den Ausfall mit zig Millionen kompensiert.“ Diese „Unsinnigkeit“ werde deutlich, wenn mehr als 25 Milliarden Euro für die Subventionierung mit einem Gegenwert von zwei Milliarden Euro aufgewendet werden müssten. Kohle- und Atomkraftwerke müssten in windschwachen Zeiten vorgehalten werden. Groß: „Deutschland muss in zwei parallele Stromerzeugungssysteme investieren.“ Und: „Die geplante Abschaltung der Atomkraftanlagen wird nicht durch die erneuerbaren Energien kompensiert werden können.“
Die Reaktorkatastrophen in der Vergangenheit, zuletzt in Fukushima, seien nicht der Atomtechnologie anzulasten, sondern Folge einer falschen Standortwahl. „Das war ein Tsunami, nicht das Kernkraftwerk als Ursache selbst“, sagt Groß.
Die nicht gelöste und zig Milliarden teure Entsorgungsproblematik havarierter Kernkraftwerke und deren verheerenden Umweltbelastungen, aber auch der strahlende Atommüll noch laufender Kernkraftwerke lässt er in seinen energiepolitischen Betrachtungen jedoch außen vor. Hingegen sticht ihm die augenfällige Erscheinung der Windkraftanlagen als „Umweltverschandelung“ mit tödlichen Folgen für Bussarde und Milane ins Auge. Dagegen entziehen sich ihm die massiven Einschnitte der Starkstromtrassen in den Landschaften seinem kritischen Blick.
Auf Nachfrage wirft Groß Kanzlerin Angela Merkel in der Energiepolitik „totales Versagen“ vor. Die Windkraft „ist ein Zappelstrom“, sagt er und lehnt diese Anlagen kategorisch ab. Stattdessen setzt er auf energetische Gebäudesanierung, Wärmekraftkoppelung und Gaskraftwerke sowie den Energiemarkt ergänzende Photovoltaik- und Biogasanlagen.
Vorschlag: Tempo 100
Um die Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren, befürwortet Groß den Verzicht auf Braunkohleanlagen und rät zum generellen Tempolimit: „Mit Tempo 100 wäre schon viel erreicht.“ Die angesagte künftige Elektromobilität statt der Verbrennungsmotoren betrachtet er mit dem Hinweis auf nicht ausreichende Speicherkapazitäten und mangelnde Batterietechnologien mit Skepsis.
Stadtwerke-Chef Klaus Minkel rät indessen auf Anfrage zur Skepsis gegenüber den energiepolitischen Thesen von Groß. „Es ist politischer Konsens in Deutschland, dass die Kernkraftanlagen verschwinden sollen.“ Ohne Windenergie sei der künftige Energiebedarf nicht zu decken, betont Minkel. Die energiepolitischen Thesen von Groß „sind autistisch gedacht“. Auch die FDP Bad Vilbel trage das Engagement der Stadtwerke beim Ausbau der Windkraftanlagen in Geisberg im Odenwald und im pfälzischen Kirrweiler mit.
Minkel habe seit Einstieg in den Strommarkt 1999/2000 nicht nur eingekauften Strom verteilen, sondern ihn auch über Beteiligungen produzieren wollen, um Unabhängigkeit vom Markt zu erreichen. Die ersten fünf Windräder im Odenwald zwischen Erbach und Mossautal haben ihren Betrieb Anfang 2015 aufgenommen. Weitere Windräder kamen in Rheinland-Pfalz hinzu. „Hier geht es um Höhenlagen von rund 400 Metern, dort ist die sogenannte Windhöffigkeit deutlich besser als in unseren Lagen“, schildert Minkel.
Zudem seien weitere Projekte in Arbeit. „Perspektivisch werden wir weiter investieren“, ist Klaus Minkel überzeugt. Denn die fortschreitende Dekarbonisierung, also die Abwendung von Kohlekraft, sei der politische Wille, so der Stadtwerke-Geschäftsführer.
Alternative zu Großkonzernen
Die Stadtwerke Bad Vilbel GmbH befindet sich in vollständigem Eigentum der Kommune. Als eines der letzten kommunalen Unternehmen stiegen die Bad Vilbeler Stadtwerke im Jahr 1999/2000 in den Strommarkt ein. Ziel ist es, den Bürgern eine Alternative zu Großkonzernen und Online-Stromhändlern anzubieten. (kop)