Karben. Die alte Dame mit dem silbergrauen Haar studiert die Liedertexte auf dem Tisch vor sich, blickt hoch und ihre Augen wandern. Ringsum an der langen Tischreihe wird fröhlich gesungen, Arme werden geschwenkt und die Schultern bewegt. Doch die Seniorin stimmt nicht mit ein und auch ihre Gesichtszüge bleiben merkwürdig unbewegt.
Der ASB-Pflegedienst hat zum offenen Café-Nachmittag für Demenzkranke, Familienangehörige und Betreuer in das Altenzentrum Karben eingeladen und Herta Müller (Name von der Redaktion geändert) ist zum ersten Mal da. Neue Umgebung, neue Gesichter, das ist anstrengend für die alte Dame und man merkt es ihr an. Doch sie ist nicht alleine gekommen, begleitet wird sie von ihrer Betreuerin Birgit Jökel. Beide wollen den offenen Café-Nachmittag nutzen, um den Ablauf einer Betreuungsgruppe für Demenkranke kennen zu lernen.
In Karben und in Nidderau bietet der ASB seit zwei Jahren solche Gruppen an. Für eine individuelle Betreuung sorgen ehrenamtliche Kräfte, vorbereitet und begleitet wird der wöchentliche Gruppennachmittag von Ursula Wiesner. Sie ist Krankenschwester mit gerontopsychiatrischer Zusatzausbildung und Beauftragte des ASB für Demenzkranke.
„Mit Singen erreichen wir alle Betroffenen, selbst wenn schon viele andere Fähigkeiten verloren gegangen sind“, sagt Ursula Wiesner. Ihr fröhliches Lachen ist ansteckend und sie hört genau hin, wenn einer aus der Gruppe einen Liedwunsch äußert. Nach „Das Wandern ist des Müllers Lust“, geht es mit „Der Mai ist gekommen“ weiter und ein Volkslied nach dem anderen wird gesungen. Die Gesichter strahlen, die Körper schwingen im Rhythmus mit und alle sind mit Begeisterung dabei. Selbst über Herta Müllers Gesicht huscht ab und zu ein Lächeln. Sie singt zwar immer noch nicht, aber ihre Finger fangen an zu zucken und zum Schluss klopft sie mit einer Hand den Rhythmus mit.
Für Ursula Wiesner ist das keine Überraschung. „Unsere ganze Betreuung zielt auf die Gefühlsebene ab, das funktioniert immer, selbst wenn die Krankheit ihnen schon viele Fähigkeiten geraubt hat“, sagt sie. Die alten Leute hätten die Volkslieder in der Schule gelernt und was so früh im Gedächtnis abgespeichert wurde, bleibe am längsten erhalten. Demenz ist eine Krankheit, die schleichend kommt und mit dem Verlust vieler Fähigkeiten endet. „Demenzkranke finden den Heimweg nicht mehr, vergessen den Herd auszustellen, wiederholen sich in Gesprächen und werden unfähig, selbstständig den Tagesablauf zu bewältigen“, erklärt Wiesner. Die Betreuungsnachmittage dienten dazu, Demenzkranke aus der Isolation zu holen, an vorhandenen Fähigkeiten anzuknüpfen und die betreuenden Verwandten zu entlasten.
Bei den Gruppennachmittagen werden Lieder gesungen, Bastelarbeiten angefertigt, Gedichte vorgelesen und Gedächtnis- oder Gesellschaftsspiele ausprobiert. „Mensch ärgere dich nicht“ ist sehr beliebt, aber auch Bingo. Mit dem unterhaltsamen Spiel um die richtigen Zahlen schließt auch der offene Café-Nachmittag im ASB-Altenzentrum ab.