Bad Vilbel. Wie wichtig es ist, sich dafür einzusetzen, dass Rechtsextremismus und Rassismus keinen Platz in unserer Gesellschaft haben, verdeutlicht das Schicksal der verschleppten, ermordeten und vertriebenen jüdischen Mitbürger Bad Vilbels. Am Samstag, dem »Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus« hatten die Naturfreunde Bad Vilbel zum Putzen der 25 Stolpersteine in der Innenstadt eingeladen. Zum Treffpunkt am Alten Rathaus waren 13 Bürger gekommen. Begrüßt wurden sie vom ersten Vorsitzenden Norbert Nakoinz und Andrea Halling, der zweiten Vorsitzenden der Naturfreunde Bad Vilbel.
Nachdem die Gruppe an den beiden Stelen des im November 1999 aufgestellten Gedenksteins vor dem Alten Rathaus Kerzen angezündet hatten, schritten sie zur Stolperstein-Putzaktion. Der Kölner Künstler Gunter Demnig hatte 2006 und 2009 in Bad Vilbel insgesamt 25 Solpersteine ins Pflaster vor den einstigen Wohnhäusern der Opfer des Pogroms vom 10. November 1938 und der in den Jahren 1933 bis 1945 verfolgten, verschleppten und ermordeten jüdischen Mitbürger Bad Vilbels eingelassen. Zweimal im Jahr, je einmal von den Naturfreunden und von Schülern des Georg-Büchner-Gymnasiums, werden die Gold glänzenden Stolpersteine aus Messing gereinigt.
Andrea Halling hatte die fürs Putzen notwendigen Utensilien wie Lappen, Wasser und Paste dabei. Außerdem informierte sie an jedem der Stolpersteine über die Menschen und ihre Schicksale hinter den Namen und Daten.
Einen Tag nach der Pogromnacht im Deutschen Reich, am 11. November 1938, marschierte ab 17 Uhr eine »Gruppe namhafter Vilbeler Bürger« durch die Stadt, um jüdische Bürger zu demütigen, zu misshandeln und ihr Eigentum kurz und klein zu schlagen. Erste Station des Mobs war das Haus von Siegfried Wechsler an der Frankfurter Straße 20. Wechsler handelte mit Getreide, Futter- und Düngemitteln und verdingte sich als Fuhrmann. Er gründete 1938 die »Siegfried Quelle«. Die Nazis misshandelten die Familie, zerstörten die Wohnung, kippten einen auf dem Hof geparkten Lkw um und zerschlugen das Leergut. Aufgrund des am 1. April 1933 in Friedberg ausgerufenen Boykotts jüdischer Geschäfte, musste die Familie ihr Geschäft aufgeben und ihr Haus verkaufen. Alle starben in Konzentrationslagern.
Jüdische Gemeinde
mit langer Historie
Auch Karoline Schiff, Frankfurter Straße 41/Ecke Grüner Weg, wurde geschlagen und ihr Eigentum zerstört. Aus Angst vor dem Mob hatte sich die gelernte Schneiderin, Kurzwarenhändlerin und Stickerin in Todesangst unter ihrem Bett versteckt. Sie wurde entdeckt und hervorgezerrt. Im September 1938 musste sie ihr Geschäft abmelden. Sie wurde 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und dort am 10. März 1943 ermordet.
Stolpersteine erinnern an die Opfer und ihre Familien. Für die nach dem Übergriff des Mobs in der Stadt verbliebenen jüdischen Bürger Elise Strauß, Adolf und Fanny Goldberg, Karoline Schiff und Isidor Strauß wurde vorerst bis zur Deportation aller Vilbeler Juden 1942 in der Judengasse 2 ein Ghetto eingerichtet. Zu den Opfern und Verfolgten gehörten unter anderem der Schulleiter und Lehrer der ehemaligen Vilbeler Realschule, Dr. Albert Chambré, der Sozialdemokrat und Gewerkschafter Martin Reck, der Arzt Dr. Ludwig Szametz und der Küfer Isidor Strauß.
Zusätzlich zu den 25 Stolpersteinen erinnern Gedenktafeln und Gedenksteine an die NS-Opfer. Bürger jüdischen Glaubens sind in der Gemeinde Vilbel ab 1670 nachweisbar. 1712 gab es fünf unter kaiserlichem Schutze stehende Juden in der Gemeinde. Eine Synagoge gab es ab 1813, ab Juli 1845 einen Jüdischen Friedhof, Ende des 19. Jahrhunderts eine jüdische Gemeinde mit einem Vorstand und ab 1841 eine eigene Schule. Im Jahr 1930 lebten 70 Bürger jüdischen Glaubens in der Stadt.
Um das Gedenken an die Opfer des Holocaust wachzuhalten, haben die Vereinten Nationen 2005 den 27. Januar zum »Internationalen Tag des Gedenkens« erklärt. Der Jahrestag bezieht sich auf den 27. Januar 1945, als mit Auschwitz-Birkenau das größte deutsche Vernichtungs- und Konzentrationslager von der Roten Armee befreit wurde. (fau)