Karben. Ein Fenster in die Vergangenheit öffnet die Initiative Stolpersteine in Karben. Ihr Kopf Hartmut Polzer hat in den Vereinigten Staaten eine Überlebende des Holocausts aus Burg-Gräfenrode ausfindig gemacht, besucht und einen Film über sie gedreht.
Die dunklen Wolken des Krieges zogen im April 1939 längst drohend über Karben. Die Angst vor Verfolgung und Mord beherrschten das Leben der Juden in Deutschland. So auch von Familie Kirschberg in Burg-Gräfenrode.
Die Furcht war es, die die Kirschbergs zu einer Entscheidung trieb: Sie schickten ihre Tochter Klärchen, gerade 15 Jahre alt, mit einem Kindertransport nach England. In der Jugendlichen blüht in diesem Moment Hoffnung auf, so schwer ihr das Verlassen der Heimat auch fällt. „Ich hatte das Gefühl“, sagt Klärchen Kirschberg, „das ist nicht mehr mein Land.“
Klärchen ist heute 87Jahre alt, heißt Claire Zweig und wohnt mit ihrem Mann Arnold in Hollywood im US-Bundesstaat Florida. Die Flucht hat ihr das Leben gerettet.
Klärchens bewegende Geschichte können die Karbener dank Hartmut Polzer (63) nun nachvollziehen. Er spürt seit einigen Jahren zusammen mit seiner Lebensgefährtin Irma Mattner (71) und der Initiative Stolpersteine den Schicksalen der Karbener Juden nach. „Ein düsteres Kapitel der Heimatgeschichte“, sagt Polzer.
Aber auch ein wichtiges: „Wenn man verhindern will, dass so etwas nochmal passiert, muss man auch sagen, was man verhindern will.“ So fokussiert die Initiative stets auf die Schicksale. „Es geht uns nicht um eine einzelne Schuld“, erläutert Harmut Polzer, „sondern um die kollektive Verantwortung.“
Klärchen Kirschberg hat er nach langen Recherchen aufgespürt, besucht und die Gespräche mit ihr per Videokamera aufgezeichnet. Zusätzlich hat er Zeitzeugen und Fachleute befragt, alles in einer knapp einstündigen Filmdokumentation zusammengefasst. Diese wird in gut zwei Wochen im Kino erstmals gezeigt. Zu Wort kommen Menschen wie Hans Moscherosch (87) aus Burg-Gräfenrode.
Er wurde mit Klärchen in der Schule im Gebäude des heutigen Dorfladens eingeschult – ein Foto erinnert daran. „Ihr Vater hatte als einziger ein Auto“, erinnert sich Moscherosch. „Wenn jemand nachts krank wurde, kamen die Leute zu uns, damit er sie zum Arzt nach Karben fuhr“, bestätigt Claire Zweig. Der Vater besaß einen Laden für Stoffe, Wolle, Unterwäsche.
Anders als in anderen Stadtteilen, wo Juden schon früh verfolgt wurden, sei der Zusammenhalt in Burg-Gräfenrode gefestigter gewesen, berichtet Polzer. „Hier widerstand die Dorfgemeinschaft der Hetze bis zuletzt.“ Wie die Situation der Juden war, erzählt Helmut Heide (76) im Film. „Ich bin heilfroh“, sagt er zu Polzer, „dass Sie sich des Themas annehmen.“ Und Moscherosch: „Es ist ein Wunder, dass Klärchen das alles überstanden hat.“ Im Gegensatz zu ihren Eltern. Sie lebten bis 1941 in Frankfurt. Dann wurden sie nach Minsk deportiert und dort ermordet.
Film „Klärchen – Flucht in eine fremde Welt“ am Donnerstag, 23. September, um 18.30 Uhr im Cinepark Karben, Robert-Bosch-Straße 65. Eintritt frei.