Karben. Von einem Bucheinband kann im Falle des Berichtsbuchs des Burg-Gräfenröder Ratsschreibers mit dem Titel „Berichts Proto Collum“ aus dem Jahre 1720 wahrlich nicht mehr die Rede sein. Im wahrsten Sinne aus dem Leim gegangen ist das so genannte Rüge-Buch, dessen stolzer Besitzer der Karbener Geschichtsverein ist.
„Das Werk war im privaten Besitz einer prominenten Familie in Burg-Gräfenrode, die nicht genannt werden möchte“, erklärt Gerd Klein vom Geschichtsverein das mysteriöse Auftauchen des Wälzers. Er zieht weiße Stoffhandschuhe an, um den fragilen Schatz nicht weiter zu beschädigen. Vorsichtig schlägt er den pergamentenen Buchdeckel auf. Schon auf der Titelseite haben die Metalloxide der Tinte Löcher ins Papier gefressen.
Tradition des Mittelalters
Der Jurist betont: „Jede Ortschaft und jedes Dorf hatte früher einen Protokollanten für die kleineren Vergehen der Bürger – so genannte niedere Delikte.“ Die Tradition stamme aus dem Mittelalter und habe sich bis ins 20. Jahrhundert gehalten. Einige Verstöße seien auch zur Anzeige gekommen, weiß Klein. Die Schöffen haben dann über das Urteil – meist in Form von Geldstrafen – entschieden.
In geschwungenen, handschriftlichen Lettern datiert der erste Eintrag in dem schweren Buch mit den vergilbten Seiten auf den 12. Oktober 1720. „Wir wollen die Schrift unbedingt übersetzen“, erzählt Klein. In einem Benediktinerinnen-Kloster haben sich die Geschichtsliebhaber bereits einen Kostenvoranschlag für die Restauration der Rügen-Protokolle eingeholt. „2500 Euro soll das Ganze kosten“, stöhnt Klein, der weiß, dass sich der Verein das nicht leisten kann. Der Verein ist deshalb dringend auf Spenden angewiesen und hofft, dass diese auch bald fließen. „Es ist schließlich unsere Aufgabe, Dinge aus der Vergangenheit für die Nachwelt zu erhalten“, betont Klein das Engagement des Vereins.
Eine kleine Kommission habe sich bereits innerhalb der historisch Interessierten gefunden, die an der Entzifferung der Handschriften arbeitet. Ziemlich genau 100 Jahre – der letzte Eintrag ist von 1822 – dokumentiert das Werk Delikte, wie etwa den Diebstahl eines Krautkopfes, das Fahren über das frisch bestellte Feld des Nachbarn oder die Nutzung verbotener Wege. Auch das abermalige Anpflanzen von Weizen in der damaligen Drei-Felder-Wirtschaft wurde mit der Zahlung etlicher Gulden geahndet. „Viele der Namen kommen immer wieder vor“, amüsiert sich Klein. Er habe dem Bürgermeister vorgeschlagen, das Buch im Rathaus in einer Vitrine auszustellen, erzählt er weiter über die ungewisse Zukunft des Werks. „Vielleicht landet es aber auch in unserer Präsenz-Bibliothek in Petterweil.
Der Geschichtsverein öffnet, mit Dank an die Stadt Karben für die neuen Räumlichkeiten, sein Archiv im alten Petterweiler Rathaus im Untergeschoss zu einem „Tag der offenen Tür“ am Mittwoch, 5. Oktober, um 14 Uhr. Um 17 Uhr ist dann die förmliche öffentliche Übergabe durch Bürgermeister Guido Rahn. Das Archiv ist eine ehrenamtliche, aber mit großem Engagement seit Jahrzehnten geführte Institution des Geschichtsvereins und verfügt über eine ziemlich umfangreiche, in akribischer Arbeit angehäufte Daten- und Literatursammlung von über vorwiegend Karbener und regionaler Geschichte und Ereignisse. Wichtig ist, dass hier nicht allein das aktualisierte „Gedächtnis“ von Zeit und Vergangenheit ruht, sondern, dass es Interessierten öffentlich und kostenlos zugänglich ist.