Karben. „Hier unten“, sagt Bertold Gorr (75) und zeigt auf die Wiese neben der Brücke, „hier unten auf dem Kieskopf habe ich Schwimmen gelernt.“ Damals war keine Wiese dort. Bis in die 1960er-Jahre floss die Nidda hier entlang.
Wann genau die Betonkonstruktion errichtet wurde, ist nicht klar. „Hier standen schon die Russen im Dreißigjährigen Krieg drauf“, sagt Anwohner Dieter Bos (64) und erntet grinsende Gesichter. Vom Anfang des 20. Jahrhunderts datiert das Bauwerk wohl. „Wir haben keine Unterlagen, keine Brückenbücher, nichts“, erklärt Wolfgang Stolper, Chef des Fachdienstes Tiefbau im Rathaus.
Was lange kein Problem war. „Da hat sich seit Jahrzehnten keiner drum gekümmert“, berichtet der langjährige Ortsvorsteher Rainer Züsch (SPD).
Doch im Jahr 2008 war es plötzlich vorbei mit der Ruhe: „Irgendwer hat irgendwann gesagt: Machen wir doch eine Prüfung.“ Kritik am Zustand der Brücke kam aus dem Ortsbeirat. Schließlich ist Beton abgeplatzt, stehen Eisen hervor, sind die Kanten der schmalen Gehsteige an vielen Stellen abgebrochen.
Als sich die Fachleute der Stadt das Bauwerk ansahen, läuteten die Alarmglocken in Sachen Verkehrssicherungspflicht. Wolfgang Stolper zeigt auf die Bruchkanten. „Stellen Sie sich ‚mal vor, dort bleibt ein Radfahrer oder ein Kinderwagen hängen …“ Nach groben Schätzungen eines Statikers könnte die Sanierung des Bauwerks locker 120 000 Euro kosten, Abriss und Straßenneubau genau so viel, erklärt Stolper. Eine oberflächliche Instandsetzung von Beton-Brüstungen und Fahrbahn wäre für 10 000 bis 15 000 Euro zu haben. „Aber wenn in fünf Jahren auffällt, dass die Konstruktion nicht mehr standsicher ist, wäre das in den Sand gesetzt“, warnt Stolper. „Das kommt nicht in Frage“, erklärt Ortsvorsteher Reinhard Wortmann (CDU).
Ob eine Sanierung nötig ist, weiß keiner – denn der innere Zustand des Betons ist ein Rätsel. Unklar ist auch, ob die Brücke standsicher ist oder nicht, ob sie tragend ist oder sie auf dem Material aufliegt, mit dem das Flussbett aufgefüllt wurde. Deshalb fordert Anwohner Klaus Pohl: „Weg mit der Brücke, sie ist doch nur ein Verkehrshindernis“, das Kopfsteinpflaster störe Inlineskater und Kinderwagen. Fachmann Stolper erklärt, dass eine neue Straße laut gesetzlicher Vorgaben 5,50 Meter breit werden müsse und mit einem 1,20 Meter breiten Gehweg daneben. Das sorgt für Widerspruch von den Anwohnern.
„Die Brücke ist eine gute natürliche Verkehrsberuhigung“, findet Gisela Nitschke (73). Autos müssten gegenseitig warten, bis sie die Engstelle passieren können. „Wir Alten hängen an dem Bild von der Brücke“, ergänzt Züsch. „Es ist eine ideelle Brücke.“ Solange die Optik erhalten bleibe, sei egal, was „drunter neu gemacht wird“. So wünscht sich der Ortsbeirat nun eine Untersuchung, wie kaputt das alte Bauwerk ist. Wenn die Kosten im Rahmen blieben, solle saniert werden. „Und wenn nicht, diskutieren wir noch einmal neu“, schlägt Wortmann vor. (den)