„Brauchen wir das noch“? ist meine übliche Frage, wenn ich aufräume und aussortiere. Dann hole ich Dinge aus Schubladen, Kisten oder Schränken, von denen ich nicht mehr wusste, dass ich sie besitze oder die ich schon lange nicht mehr benutzt habe. Wir besitzen in der Regel viel mehr, als wir wirklich brauchen. Manchmal landen diese Sachen im Müll, manches kann man verschenken und anderes wird verkauft. Es gibt ja viele Flohmärkte und das Internet bietet noch mehr Möglichkeiten, etwas zu verkaufen. „Gebraucht- guter Zustand“ steht dann dabei und vielleicht freut sich jemand anderes über meine gelesenen Bücher oder gebrauchten Vasen. Wenn nicht, werfe ich die Dinge eben doch weg. Da kann man noch über unsere Wegwerfmentalität nachdenken, aber der Vase ist es schließlich egal.
Menschen ist es nicht egal, ob sie gebraucht werden. „Wissen Sie, wenn man gebraucht wird, kann man vieles aushalten,“ hat mir kürzlich eine Frau auf meine Frage geantwortet, wie es ihr gehe. Ich weiß, dass es ihr gesundheitlich nicht gut geht, aber sie hat einen kranken Mann und geht regelmäßig mit der alten Nachbarin spazieren. Die beiden brauchen sie und das gibt ihr die nötige Kraft und Energie. Gebraucht zu werden, ist wichtig.
Studien zeigen, dass Menschen rasch krank werden, wenn sie das Gefühl haben, die Gesellschaft würde sie nicht brauchen, weil sie krank, alt oder arbeitslos sind. Es ist dann nicht nur das Problem, weniger Geld oder Möglichkeiten zu haben. Schlimmer wiegt das Gefühl, wie eine alte Vase zu sein, die keiner mehr braucht.
Dabei ist jeder Mensch gut – sogar sehr gut. Das hält die Bibel ganz am Anfang sehr deutlich fest. Im 1. Buch Mose, Kapitel 1, Vers 31 schaut Gott sich den Menschen an und stellt fest, dass er gut ist, sehr gut sogar. Brauchbar ist er darüber hinaus auch. Er soll die Erde, die Gott geschaffen hat, weiterhin mitgestalten. Da traut Gott uns sehr viel zu, trotz vieler schlechter Erfahrungen. Was Gott von uns hält ist das Gegenteil von unbrauchbar oder unnütz. Ich möchte das gerne allen, die daran zweifeln zurufen. Natürlich ist keiner unbrauchbar. Wer sich das klarmacht, findet auch nützliches zu tun: mit der Nachbarin spazieren gehen oder jemanden besuchen, anderen mit der eigenen Lebenserfahrung zur Seite stehen, zuhören oder ganz praktisch mit anfassen. Jeder von uns hat Fähigkeiten, die andere brauchen. Manchmal muss man sie suchen, manchmal muss man den eigenen Stolz oder die eigene Unsicherheit überwinden, um auf andere zu zugehen. Aber vor allem muss ich mir klar machen, Gott braucht mich auf jedem Fall.
Pfarrerin Ulrike Mey,
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel