Veröffentlicht am

»Bisher niemand bekannt, der klagt«

Blick von der Bahnbrücke auf den Karbener Bahnhof. Der Inselbahnsteig soll im Zuge des S6-Ausbaus auf 210 Meter verlängert werden und einen Aufzug bekommen. Die Bahn hofft, 2025 mit den ersten sichtbaren Arbeiten beginnen zu können. Foto: Nissen
Blick von der Bahnbrücke auf den Karbener Bahnhof. Der Inselbahnsteig soll im Zuge des S6-Ausbaus auf 210 Meter verlängert werden und einen Aufzug bekommen. Die Bahn hofft, 2025 mit den ersten sichtbaren Arbeiten beginnen zu können. Foto: Nissen

Bad Vilbel/Karben. Nach der Strecke Frankfurt – Bad Vilbel sollen bis 2031 auch die restlichen 17 Kilometer der S6 von Bad Vilbel bis Friedberg eigene Gleise bekommen. Die Bürgerinitiative »Bahnane« hält das für unsinnig. Vor Gericht könne man das Multimillionenprojekt noch kippen, hieß es am Sonntag bei einem Treffen in Dortelweil. Aber es gibt ein Problem.
In drei Abschnitten will die Bahn unter anderem 21 Brücken abreißen und neu bauen, sechs Bahnhöfe modernisieren und auf zwölf Kilometern Lärmschutzwände errichten. Für 2025 kündigte der Bahn-Manager Wolf-Dieter Tigges die ersten Rodungen und Baustraßen an. Im Jahr darauf soll die Verbreiterung der Schottertrasse beginnen. Wenn es gut läuft, könne die S6 ab 2031 auf eigenen Gleisen im 15-Minuten-Takt zwischen Friedberg und Frankfurt fahren.
Der Bund, die Bahn, Fahrgastvertreter, Umweltschützer und die Anliegergemeinden – alle wollen diese Erweiterung der Main-Weser-Bahn. Mit einer dreistelligen Millionensumme sollen zwei separate Gleise für die S-Bahn gebaut werden. Nur die Bürgerinitiative »Bahnane« kämpft dagegen. Sie hat nach eigenem Bekunden knapp 300 Mitglieder – viele von ihnen besitzen Grundstücke an der Trasse und fürchten Lärm, Staub und Erschütterungen beim Bau und Betrieb der zusätzlichen Gleise.
Die BI-Aktiven sehen sich trotzdem nicht als Sankt-Florians-Jünger. Der eigentliche Grund für den Ausbau sei die Güterzug-Magistrale zwischen Genua und Rotterdam. Um die Bahnstrecken links und rechts des Rheins zu entlasten, solle die Main-Weser-Bahn viergleisig werden. Nach 2023 werde sie weiter bis Marburg über Siegen bis Köln ausgebaut – dabei würde sich eine Güter-Schienenstrecke entlang der A5 viel besser eignen.
Auf 250 Seiten hat die Bürgerinitiative ihre Argumente gegen den Bahn-Ausbau gesammelt, sagte Michael Hub am Sonntag bei der Mitgliederversammlung des Trägervereins »Bahnane« im evangelischen Gemeindehaus von Dortelweil. Einen ganzen Tag lang schilderte Umweltgutachter aus Frankfurt schon Ende 2023 beim Erörterungstermin, was alles gegen den Ausbau der Bahn bis Friedberg spricht. Die Bahn halte viele ihrer Versprechen nicht. Nach dem Bau der Gleise bis Bad Vilbel seien Unterführungen zum Beispiel nicht mehr geöffnet worden. Es habe unerlaubte Grundwasserabsenkungen gegeben – und vieles mehr. Die zwei zusätzlichen S-Bahn-Gleise bis Friedberg hält Michael Hub für Geldverschwendung. Denn in 20 Jahren seien die Pendler ja mit fahrerlosen Bussen und Autos unterwegs.
Klage frisst viel
Zeit und Energie

Summa summarum sieht der Aktivist gute Chancen, den Bauabschnitt von Bad Vilbel bis Friedberg zu verhindern. Zum Bezahlen der Prozesskosten hütet die Bürgerinitiative eine fünfstellige Summe aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Im Planfeststellungsverfahren habe es mehrere Tausend Einwendungen gegeben. Allein die Sammeleinwendung der BI sei von 344 Menschen unterzeichnet worden. Michael Hub: »Die Hürde wird sehr groß, daran vorbeizukommen.«
Seit gut vier Monaten brütet das Eisenbahnbundesamt über dem Inhalt der gut 25 Aktenordner. Irgendwann wird die Behörde den Planfeststellungsbeschluss verkünden. Nach dessen Offenlage können laut Michael Hub vor allem Anwohner der Strecke mit guten Chancen gegen den Ausbau klagen. Sie haben vier Wochen Zeit dafür. Binnen weiterer sechs Wochen muss die Klage begründet werden.
Und hier greift das große Problem der Ausbaugegner: »Es ist bisher niemand bekannt, der klagt.« Das bekannte die neue »Bahnane«-Vorsitzende Manuela Friedländer im Dortelweiler Gemeindehaus vor 25 Zuhörern. »Es gibt zu wenige, die sich engagieren«, ergänzte ein anderes Vorstandsmitglied. So eine Klage fresse viel Zeit und Energie. Er wolle aus persönlichen Gründen eher nicht klagen, sagte ein Bahn-Anwohner aus Okarben. Wenn sich aber niemand finde – dann gehe er vor Gericht.
Suche nach Mitstreitern
Die weitere Diskussion drehte sich darum, wie man beim Kampf gegen die Bahn Mitstreiter findet. 2023 versuchte »Bahnane« bei einem Info-Stand in Wöllstadt den Einwohnern klarzumachen, dass sie alle über Jahre unter der Großbaustelle leiden würden – durch Straßensperrungen, Umleitungen, Lärm und Erschütterungen. Doch bislang wohnen nur 13 Prozent der »Bahnane«-Mitglieder in Wöllstadt. Die meisten kommen aus Bad Vilbel und Karben. Etwa ein Drittel der BI-Mitglieder sind Frankfurter – deren Elan gegen den Bau einer Bahnstrecke weit im Norden vermutlich eher schwindet. Und: »In Friedberg haben wir leider keine Ansprechpartner«, bekannte »Bahnane«-Kassenwartin Ingrid Malsch.
Trotzdem: »Die Bahnane ist noch lange nicht am Ende!« betont Vorsitzende Friedländer. Die nächsten Monate werden zeigen, ob das stimmt.
Von Klaus Nissen