Bad Vilbel. Im Rahmen der Ausstellung »Gegen das Vergessen – 90 Jahre Bücherverbrennung« der Naturfreunde Bad Vilbel war am Donnerstagabend der Frankfurter Juristen, Publizist und Philosoph Michel Friedman zu Gast in der Stadtbibliothek. Er sprach über Bildung, Freiheit und die Gefahren durch Demokratiemüdigkeit. Unter dem Titel »Gegen das Vergessen – Antisemitismus heute« stellte er einen aktuellen Bezug der Bücherverbrennungen vor 90 Jahren zum Antisemitismus von heute her. Alle 160 Plätze in der Stadtbibliothek waren besetzt.
Norbert Nakoinz, Vorsitzender der Bad Vilbeler Naturfreunde, eröffnete den Abend und hob in seiner kurzen Rede die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit hervor. Wie gefährdet beides sei, zeige die »Weltkarte der Pressefreiheit« auf einer Schautafel der Ausstellung, erstellt von den »Reportern ohne Grenzen«, die sich weltweit für Pressefreiheit und gegen Zensur engagieren.
Deutschland ein
»wunderbares Land«
Michel Friedman freute sich über den Veranstaltungsort – die Stadtbibliothek – und eröffnete seinen Vortrag mit einem Plädoyer für das Lesen. Dies sei bis heute ein Privileg, das ermögliche, die Welt kennenzulernen, die eigene Fantasie zu entwickeln, kritisch zu werden und Zweifel qualitativ anzubringen. Und damit war er schon mitten in einem seiner großen Themen des Abends: der Bildung – womit er sowohl die Aneignung von Wissen und die Fähigkeit zur Empathie meinte. »Bildung darf kein Zufall sein«, sagte er. Durch sie lerne man, die Welt zu verstehen.
Sein eigentliches Thema des Abends sei die Demokratie, führte er weiter aus. Die lebe von Menschenrechten, die jeder durch sein Menschsein genieße. Doch er bemerke auch eine gewisse Demokratiemüdigkeit, die sich durch Angriffe auf Politiker, auf Medienschaffende – Stichwort »Lügenpresse« – und die verächtliche Betrachtung des Gesellschaftssystems zeige. Er unterlegte dies mit Zahlen: Etwa fünf Prozent der Menschen in Deutschland befürworteten die Idee des Reichsbürgertums, etwa 15 Prozent hätten einen latenten Hass gegen Juden. Dies seien 20 Prozent, die die Demokratie bedrohten. Würden jedoch die anderen 80 Prozent sich laut für die Demokratie einsetzen, sei sie sicher.
Er appellierte daran, Angefeindeten zur Seite zu stehen, dafür zu sorgen, dass Menschen geschützt werden, nicht ausgegrenzt. Schließlich sei Deutschland ein »wunderbares Land«, weil es demokratisch sei und den Menschen eine große Lebensqualität biete: die Freiheit zu reisen, jegliche Meinung zu äußern und Medienvielfalt ohne Zensur zu genießen.
Eine Stunde sprach Michel Friedman, frei und ohne Manuskript, und bekam vom Publikum viel Applaus für seine Ausführungen. Im anschließenden Gespräch, moderiert von Malik Eberhardt und Horst Seißinger, beantwortete er Fragen, die die Zuhörenden schon während des Vortrags aufschreiben und danach einreichen konnten. Im Gespräch kam er wieder auf eines seiner großen Themen des Abends zurück: das Menschsein und das Sicheinsetzen für andere Menschen – auch im Streit, der die Grundlage des Denkens sei, verbunden mit Neugier und Zweifel. (cka)