Bad Vilbel. Der Präsident des AWO-Bundesverbands, Michael Groß, macht zurzeit unter dem Motto »Armut und Einsamkeit beseitigen helfen« eine deutschlandweite Rundreise und wollte dabei den AWO-Ortsverband Bad Vilbel näher kennenlernen. »Denn was dieser Ortsverband mit seinen größtenteils ehrenamtlichen Helfern leistet, ist beispielhaft«, lobte der Vorsitzende Groß die an diesem Vormittag im AWO-Treff in der Wiesengasse anwesenden Mitglieder aus der Quellenstadt. An ihrer Spitze der stellvertretende Ortsverbandsvorsitzende Klaus Arabin sowie die Vorsitzende des AWO-Landesverbandes Hessen-Süd und Wetteraus Erste Kreisbeigeordnete Stephanie Becker-Bösch.
»Ich will auf dieser Reise durch Deutschland Eindrücke zu den Lebenssituationen unserer Bürger vor Ort sammeln, um diese dann den Politikern in Berlin präsentieren zu können. Ich glaube, bei so vielen Großereignissen wie Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Wirtschaftskrise und Inflation verliert so mancher Politiker die alltäglichen Sorgen der Bürger aus den Augen«, meinte Groß sorgenvoll. Armut mache kraftlos und desillusioniert. Deshalb würden seiner Meinung auch immer mehr Menschen den Glauben und das Vertrauen in die Politik verlieren. Ganz deutlich sei das bereits bei sehr vielen Jugendlichen zu spüren. Sie fühlten sich übergangenen und wollten deshalb an demokratischen Prozessen nicht mehr teilnehmen und gehen deshalb auch nicht mehr zu Wahlen.
Zustimmung erhielt Groß von Becker-Bösch: »Was mehr und mehr fehlt, ist die Verbindung zwischen den Politikern, die die Gesetze schaffen und den Bürgern, die sie anschließend umzusetzen haben. Es fehlt die unbedingt notwendige Kommunikation untereinander«. Dass die AWO nach ihren eigenen Ansprüchen weiterhin Farbe ins Leben der Mitmenschen bringen und auch in vielen sozialen Bereichen helfen kann, davon berichteten die Bad Vilbeler AWO-Mitglieder. Beispielsweise Lucia André, die über die Aktionen im Café Kleeblatt berichtete. »In unseren Einrichtungen engagieren wir uns für alle, die auf Unterstützung angewiesen sind. Hauptamtliche, ehrenamtliche und freiwillige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind da, wenn Hilfe gebraucht wird«, macht André deutlich. Ihr Kreis zählt zwar rund 20 Aktive, »doch wir brauchen dringend Nachwuchs und zwar Helfer wie auch Fahrer«, richtet sie einen Appell an Bad Vilbeler Bürgerinnen und Bürger.
Ortsverband
sucht Mitstreiter
Aber der Ortsverband hat auch Sorgen, wie Arabin zu berichten weiß. Zurzeit zähle man rund 100 Mitglieder. Davon seien aber höchstens 60 wirklich aktiv. Beispiel der Mittagstisch, den der Ortsverband bisher Bedürftigen sehr erfolgreich angeboten habe. Der müsse vorerst pausieren, weil es zu wenig Helfer gebe, die sich für diese Aufgabe einbringen würden.
Mehr Zulauf gebe es dagegen bei der Schuldnerberatung. 50 Zugänge habe sie Jahr für Jahr zu verzeichnen, berichtet Jacques Indemans, Mitglied des zehnköpfigen Schuldnerberaterteams der AWO Bad Vilbel, darunter zwei Rechtsanwälte. Wegen ihres großen Zuspruchs habe sie ihre Arbeit mittlerweile sogar auf Karben ausgeweitet.
Großer Nachfrage erfreut sich auch die »praktische Hilfe nach der Geburt ›Wellcome««. Die kleine Gruppe um Elena Schopf begleitet ehrenamtlich junge Mütter »wie es sonst Freundinnen, Familien oder Nachbarn tun. Sie ermöglichen eine Auszeit im Alltag, in denen Eltern wieder Kraft schöpfen können«.
Obwohl die AWO ein professionelles Sozialunternehmen mit rund 145 000 Mitarbeitern in etwa 12 500 Einrichtungen ist, zeigte sich ihr Präsident Groß, der selber lange Zeit dem Deutschen Bundestag angehörte, vom Engagement der Bad Vilbeler beeindruckt.
»Hier in Deutschland läuft momentan etwas Grundlegendes falsch. Wir haben zu viel Armut und zu viele Menschen, die unter Einsamkeit leiden. Dagegen müssen wir uns gemeinsam wehren«, so Groß. Am liebsten würde er zu einer Großdemonstration in Berlin aufrufen, aber viele der Betroffenen wie Altenpflegerinnen oder Kita-Betreuerinnen könnten für so eine Demo wegen Personalmangel ihre Arbeitsstelle nicht verlassen. Trotzdem wolle er alles dafür tun, dass das soziale Leid in Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit gewinne.
Von Jürgen W. Niehoff