Bad Vilbel. Wo immer Rainer Weisbecker auftritt, trifft er auf ein festes Stammpublikum. Selbst bei prasselndem Regen sind in der Straußwirtschaft in der Hasengasse die Bankreihen nicht nur mit Vilbeler Fans voll besetzt. Auch aus Karben, Oberursel und Frankfurt sind sie angereist, um „unsern Weisbecker“ im kleinen Kreis beim Äbbelwoi „hautnah un leif“ zu erleben.
Entsprechend hautnah und eng geht’s im kleinen Innenhof der Straußwirtschaft zu. Dicht gedrängt sitzen die Gäste unter Regenschirmen und bunten Zeltplanen. Eine Sitzbank bricht krachend unter der Last des Publikums entzwei. Wenn auch Weisbecker mit seinem neuen Programm „Ei guude Petrus“ himmlisches und hessisches zum Todlachen verspricht, scheint Petrus selbst mit seinen reichlichen Zugaben mit von der Partie zu sein. Ein Blick ins Wetterradar aber erhellt die Stimmung. „Die Wolge sin fort“, lächelt er, und legt sein multimediales I-Phone zur Seite.
„Babischde Finger“
„Ich hab de Blues in mei’m Herz un de Rock’n Roll in meiner Faust“, sagt er und greift zur Gitarre. Weisbecker spielt unplugged vom Barhocker. Mit „babbischde Finger“ widmet er sich sogleich dem Pflaumenmus, dem Latwerch, dessen schwarz-klebrige Konsistenz die Kindermäuler ziert. Beim „Jösthäusje Blues“ (Wasserbüdchen) geht es ins Frankfurter Eingemachte, ins Milieu ums Eck, um das die Frankfurter weltweit beneidet werden.
„Weisbecker trifft wie kein anderer das Frankfurter Lebensgefühl“, sagt Arno Reis, der extra von Frankfurt her angereist ist. Mit Friedrich Stoltze (1816-1981) will er ihn nicht vergleichen, aber der alte Satiriker „lebt in Weisbecker fort.“ Wenn auch in anderen und modernen Zeiten. So etwa bei der selbstgebastelten „elektrischen Fraa mit Volt, Watt un Ampere“, die seinem Erfinder spannungsvoll allerlei abverlangt. „Doch kann isch nimmer“, schmunzelt sein Schöpfer, „dann fahr ich se runner mit’m Dimmer.“
Der 1953 in Frankfurt geborene Gitarrist, Liedermacher und Mundartautor steht mit Beginn der 1970er Jahren auf der Bühne. Sein Debüt gibt er als Siebzehnjähriger im legendären Sinkkasten-Keller unweit des Main-Rivers. Blues ist damals angesagt. Dort geben sich Bands wie die Frankfurter Headline Blues Band oder die Frankfurt City Blues Band die Klinke in die Hand. Weisbecker wird infiziert vom Blues.
Der vom Akkordeon kommende Musiker spielt nicht nur in diesen legendären Frankfurter Bands. Mit dem Mörfeldener Bodo Kolbe findet er einen genialen Partner, Blues und den rheinfränkisch-südhessischen Dialekt zu einer unnachahmlichen Symbiose zu vereinigen. Kolbe und Weisbecker werden zu maßgeblichen Taktgebern des südhessischen Blues. „Mer speele de Blues“, lautet früh das Motto. Wenn auch die nachfolgenden Formationen und Labels mit wechselnden Besetzungen im hessischen Süden und weit darüber hinaus für Furore sorgen, steht das Duo Kolbe und Weisbecker auch heute noch – wenn auch selten – auf der Bühne.
Erstmals kennengelernt hat das Ehepaar Schmidt aus Vilbel Weisbecker bei den Liedern im Park in Frankfurt. „Seine Satiren und Lieder sind exzellent und durchgängig genießbar“, lautet unisono deren Kritik – nicht ohne Seitenhieb auf den gegenwärtigen „Hessisch-Rummel“. Das findet auch Regina Amann. Die Karbenerin ist begeistert von dem „tollen Gitarrenspiel, vom raffinierten Witz und pointierten Mundart-Texten.“
Verteilung der Dialekte
Aufgewachsen in den Stadtteilen Goldstein und Niederrad hat Weisbecker die Frankfurter Mundart mit der Muttermilch aufgesogen. Nicht nur als Bluesgitarrist und Songschreiber. Acht Frankfurter Mundartbücher stammen aus seiner Feder neben weiteren CD’s und zahlreichen Bühnenprogrammen. Weisbecker wird Mitglied des Mundart-Rezitations-Theaters „Rezi-Babbel“, das sich unter anderem der Satiren von Stoltze annimmt.
„Stoltze schwebt als der große Meister über uns allen“, sagt Weisbecker. Gottgleich wandelt der alte Lästerer einstweilen mit seiner Latern im Himmel. Inwieweit er das himmlische Treiben dort oben mitgestaltet hat, ist nicht überliefert. Doch als Gott die Dialekte verteilt hat, erzählt schmunzelnd Weisbecker, sitzen die Frankfurter noch beim Äbbelwoi.
Verspätet sprechen sie beim himmlischen Vater vor. „Die Dialekte sin schon all vergewwe“, lautete dessen niederschmetternde Antwort. „Awwer wenn ihr noch ein hawwe wollt, dann babbelt doch so wie isch.“ Und so lässt auch Weisbecker heute sein Maul uff de Gasse spazieren geh’n. Und das mit dem Petrus Freitagabend in der Straußwirtschaft findet in einem leisen Nieselregen sein gebührliches Ende wie die geborstene Sitzbank sich beim Tischler rekonvaleszent wieder erholt. (sng)