Von Patrick Eickhoff und Jürgen Wagner
Bad Vilbel/Wetterau. Fast 125 Impfgegner haben sich am Montagabend zu einem »Spaziergang« in der Bad Vilbeler Innenstadt getroffen. Auch andernorts im Wetteraukreis wurde demonstriert.
Etwa 125 Menschen stehen am Montag um 18 Uhr vor dem Alten Rathaus in Bad Vilbel, darunter Kinder und Jugendliche. Manche tragen Maske, viele legen auf eine Mund-Nase-Bedeckung jedoch keinen großen Wert – geschweige denn auf Abstandsregeln. Dann startet der »Spaziergang« gegen die Corona-Maßnahmen durch die Frankfurter Straße. Viele Passanten haben dafür kein Verständnis. »Das kann nicht euer Ernst sein«, ruft ein Mann, der aus einem Geschäft kommt. Die meisten schrecken zurück, versuchen Abstand zu halten. Den Spaziergängern ist das egal. Sie bahnen sich ihren Weg bis zum Niddaplatz. Manche haben das Grundgesetz dabei, wähnen sich in einer »Diktatur«. Als die Polizei die Spaziergänger bittet, stehen zu bleiben, gibt’s die Antwort: »Wir sind der Souverän. Es gibt hier keinen Versammlungsleiter.« Rufe dieser Art bleiben an diesem Abend allerdings die Seltenheit.
Auch Gegendemonstranten der »Omas gegen rechts« sind vor Ort. Angelika Ungerer, Gründerin dieser Gruppe in der Wetterau, sagt, es sei wichtig, Präsenz zu zeigen. Auch wenn sie nur zu sechst sind. Auf einem Plakat zeigt die Gruppe, was sie von dem Aufmarsch hält: »Geradeaus statt quer – nutzt der Gesundheit mehr. Abstand vor allem gegen rechts« steht da. Bei den »Querdenkern« trifft das auf wenig Gegenliebe. »Ihr müsst endlich aufwachen«, sagt eine Frau. Andere, die sich demonstrativ lange vor die »Omas« stellen, lachen laut, schütteln den Kopf. Ein Mann vermutet, Presse, Polizei und Gegendemonstranten stecken unter einer Decke. »Das ist ein Skandal«, findet er.
»Bin nicht rechts, habe nur Zweifel am Impfen« In Bad Nauheim hatten Impfgegner bereits Montag vor einer Woche über den Messengerdienst Telegram zum stillen Protest gegen die Corona-Politik aufgerufen. Auf 100 bis 150 Menschen wurde die Gruppe, die zum Bad Nauheimer Marktplatz zog, geschätzt. Am Montagabend waren es deutlich mehr. Sie trafen sich an zwei Orten, auf dem Marktplatz und vor der Dankeskirche, manche mit Kerzen in Händen. Gegen 18 Uhr kam Bewegung in beide Gruppen, in der Fußgängerzone traf man sich. Ohne Maske und Abstand sowie unter Begleitung weniger Polizisten ging es kreuz und quer durch die Stadt.
»Freiheit«, rief ein Mann. Andere skandierten »Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung«. Aus einem Lastenfahrrad dröhnte Musik: »Wacht endlich auf!« Einige Demonstranten machten sich mit Trillerpfeifen bemerkbar. Die Lage war friedlich. Frauen stimmten das Lied »Die Gedanken sind frei« an. Es waren Familien mit Kindern unterwegs, ebenso viele Senioren.
Viele Demonstranten grenzten sich von »Querdenkern« und Rechtsextremen ab. »Ich bin nicht rechts. Ich habe nur Zweifel am Impfen«, sagte ein Mann. »Ich trete für meine Grundrechte ein. Und die werden gerade eingeschränkt.«
»Lachhaft übersteigerte Notwehrhaltung«
Was auffiel: Viele berufen sich auf offizielle Angaben und Statistiken des RKI oder des Umweltbundesamtes und ziehen aus diesen Zahlen Schlüsse, die genau das Gegenteil von dem sagen, was Politik und Wissenschaft verkünden: dass Impfen hilft. »Mich kann keiner zwingen«, sagte ein Mann. Wie alle Angesprochenen ist er nicht geimpft. »Nein, das lasse ich nicht zu«, sagte ein Frau. »Ich will selbstbestimmt entscheiden, ob ich mich impfen lasse.« Und was ist mit den übervollen Intensivstationen? »Gibt es nicht«, sagt ein Mann. Die Warnungen der Wissenschaft? »Glaube ich nicht«, sagt eine ältere Frau. Sie habe sich noch nie impfen lassen. Und wenn sie sich ansteckt und auf der Intensivstation landet? »Dann isses halt so.«
Die Antifa-BI hatte kürzlich auf Verbindungen der Protestbewegung ins rechtsextreme Milieu hingewiesen. Dafür gab es rein äußerlich keine Anzeichen bei dem Protestzug in Bad Nauheim. Der Gießener Politikwissenschaftler Claus Leggewie hat in der FAZ dargelegt, dass die alte Rechts-links-Einteilung auf das Gros der Protestler nicht zutrifft. Er sieht einen »Extremismus der Mitte« am Werk, der sich äußert in einer »lachhaft übersteigerten Notwehrhaltung« und einer »trotzigen Behauptung individuellen Ungehorsams«.
In Friedberg wurden am Montagabend 25 Corona-Leugner und doppelt so viele Gegendemonstranten gezählt. Die Antifa-BI verteilte Flyer, auf ihrer Webseite will sie Infos zum Thema bereitstellen.
Verhaftung beim Corona-Spaziergang – 45-Jährige musste von Polizei ins Auto getragen werden
Bad Vilbel. In verschiedenen Städten der Wetterau sind am Montag Impfgegner auf die Straße gegangen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren. Nicht angemeldet und als Spaziergang getarnt, zogen in Bad Nauheim rund 300, in Bad Vilbel 125 Querdenker durch die Straßen. Dabei blieb es größtenteils ruhig, wie die Polizei auf Anfrage mitteilt. In Bad Vilbel kommt es jedoch zu einem größeren Zwischenfall, der in den sozialen Netzwerken genutzt wird, um Stimmung gegen die Polizei zu machen.
In der Vilbeler Innenstadt widersetzt sich gegen 19 Uhr die mutmaßliche Veranstalterin des Spaziergangs den Polizeibeamten. Diese wollten aufgrund eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, die Identität der Bad Vilbelerin feststellen. Da sich die 45-Jährige vehement weigerte, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen und ihre Personalien anzugeben, brachten die Ordnungshüter sie daher schließlich zur Polizeistation. Die Frau wehrte sich, trat nach den Polizisten, anschließend gegen das Polizeiauto. Sie widersetzte sich so stark, dass die Beamten die 45-Jährige zum Auto tragen mussten. Auch im Auto griff die Frau die Beamten noch einmal an. Diese blieben unverletzt.
»Nachdem von der zuständigen Staatsanwaltschaft entschieden wurde, die Beschuldigte am Folgetag einem Haftrichter vorführen zu lassen, gab sie letztlich ihre Personalien preis«, teilt die Polizei mit. Anschließend habe man die Frau nach Hause entlassen.
Im weiteren Verlauf werde sich die 45-Jährige wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter gefährlicher Körperverletzung sowie versuchter Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel verantworten müssen.
Mögliche Zeugen des Geschehens werden gebeten, sich unter Telefonnummer (06031) 6010 bei der Polizei zu melden. Nach bisherigen Erkenntnissen filmten mehrere Passanten den Einsatz. (wpa/pob)