Bad Vilbel. Vor 50 Jahren ist Massenheim auf freiwilliger Basis nach Bad Vilbel eingemeindet worden. Der Massenheimer Josef Knipf erinnert sich noch gut an diese Zeit und weiß, wie die Stimmung rund um die »Übernahme« war, und welche Rolle eine Geburtstagsfeier dabei spielte.
Josef Knipf hat in seinem Leben viele Unterlagen gesehen und bearbeitet. Abgeheftet und aufgehoben hat er nicht alle. »Das wären zu viele«, sagt der 86-Jährige und lacht. Auf dem Tisch vor ihm liegen Karten, Dokumente, Schnellhefter. Knipf hat Ordnung geschaffen. Neben ihm liegt ein schwarzer großer Ordner – beschriftet mit »Massenheim«. Knipf greift nach einem etwas verblassten Dokument, »Das ist der Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrag zwischen der Stadt Bad Vilbel und der Gemeinde Massenheim«, sagt Knipf.
Nicht für »dene ihre Schulde aufkomme«
Ein zehn Seiten langes Dokument der Bad Vilbeler Zeitgeschichte. Von der eigenständigen Gemeinde zum Stadtteil Bad Vilbels. Am 25. April 1972 hat die Bad Vilbeler Stadtverordnetenversammlung, zuvor am 21. April die Gemeindevertretung Massenheims dem zugestimmt. Knipf erinnert sich: »So glücklich waren die Massenheimer am Anfang nicht.« Denn im Zuge der Gebietsreform habe Massenheim mit Nieder-Erlenbach und Harheim verhandelt. »Das waren gleichwertige Gemeinden.« Die Skepsis in der kleinen Gemeinde mit damals rund 1800 Bewohnern sei groß gewesen, als der Name Bad Vilbel fiel. »Die Pro-Kopf-Verschuldung war in Bad Vilbel höher.« Nicht alle wollten für – Knipf schwenkt ins Hessische – »dene ihre Schulde aufkomme«.
Knipf selbst war ebenfalls kritisch. Er kommt Anfang der 1950er Jahre als Vertriebener aus einem ungarischen Grenzgebiet zu Jugoslawien über Sachsen nach Massenheim. Die Gemeinde ist noch ein kleines Dorf, in dem 42 Prozent Evakuierte sowie Flüchtlinge und Vertriebene lebten. 1951 (Am Weinberg) und 1955 (Am Weißen Stein) werden Baugebiete ausgewiesen.
Massenheim wächst, und Knipf fängt an sich zu engagieren. »Ich bin heute noch Mitglied in zwölf Vereinen«, sagt er stolz. Knipf hat das Massenheimer Vereinsleben mitgeprägt. Mitgründer des Schützenvereins, über ein halbes Jahrhundert Vorstand der Massenheimer Wehr, Unterstützung für die Kirchengemeinden. Für sein vielfältiges Engagement ist Knipf, der als gelernter Metzger, nach einer Zeit als Gastwirt, in den 60er Jahren eine Spedition aufbaute, 2014 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Nur die Politik sagt ihm anfangs nicht zu. »Das hat sich dann später zumindest etwas geändert.«
Denn mit der Eingemeindung Massenheims am 1. Juni 1972 verlor die Gemeinde die Aufgabe der örtlichen Selbstverwaltung. »Es gab keinen Bürgermeister mehr. Aus dem Gemeinderat wurde später dann der Ortsbeirat.« All das habe man vorher regeln müssen – eben in jenem Grenzänderungs- und Auseinandersetzungsvertrag. »Darin war alles geklärt.«
Schild abmontiert und wieder angebracht
Und trotzdem waren die Massenheimer am Anfang skeptisch. Auf einer Feier kam dann etwas auf, das bis heute Bestand hat. »Wir waren auf einem Geburtstag und haben in lustiger Runde einfach entschieden, dass wir einen Freistaat ausrufen.«
Gesagt, getan. Knipf und Freunde entwerfen sogar ein eigenes Logo. Der Freistaat war geboren. »Das Thema wurde überall aufgegriffen. Beim Fasching in der Bütt, aber auch im Rathaus. Der damalige Bürgermeister Erich Glück hat auch immer gesagt, er ist dann mal im Freistaat.« Knipf schmunzelt. »Wir haben sogar mal für ein paar Tage das Ortsschild abgeschraubt und ein Freistaat-Schild angebracht«, sagt er und lacht. »Ein paar Tage später haben wir es wieder zurückgetauscht.« Und so freunden sich die Massenheimer auf humorvolle Art und Weise mit der Eingemeindung an.
Knipf, der über 40 Jahre lang im CDU-Ortsvorstand aktiv ist, engagiert sich auch im ersten gewählten Ortsbeirat Massenheims. »Ich bin nicht drumherum gekommen. Mir haben sie immer gesagt, ich würde ja jeden kennen und das würde gut passen.« Im Ortsbeirat wurde stets über Parteigrenzen hinweg gearbeitet. »Für unsern Freistaat.« Über die Eingemeindung denkt der 86-Jährige heute ganz anders als noch vor 50 Jahren. »Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können.«
Von Patrik Eickhoff