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Atemberaubend

Das Wort zum Sonntag

Maurice Meschonat
Maurice Meschonat

Ich stehe auf dem Gipfel. Eine lange Zeit der Planung, des Trainings und der Akklimatisation liegt hinter mir. Fünf Kleidungsschichten bedecken meinen Oberkörper, immerhin noch drei meine Beine. Meine Füße sind in dicke Bergstiefel eingepackt. Die Luft ist so dünn, dass ich nur ganz langsam einen Schritt vor den anderen setzen kann. Gierig versuche ich bei jedem Atemzug, den wenigen Sauerstoff tief in meine strapazierten Lungen zu pumpen. Was für eine unglaubliche Schinderei!

Doch ich habe es tatsächlich geschafft! Am 21. Dezember 2015 stand ich auf dem Gipfel des Ojos del Salado. Mit seinen 6893 Metern ragt der höchste Vulkan der Erde aus dem Dach der südamerikanischen Anden. Um mich herum ein großartiges Panorama. Ein 6000er wirkt mächtiger als der andere. In den Weiten der chilenischen Atacamawüste sind weder Städte noch Dörfer in Sicht. Von so weit oben sieht die Welt ganz schön klein aus.

In solchen Momenten bin ich froh, dass ich an Gott glaube. Weil ich jemanden habe, dem ich Danke sagen kann. Dafür, dass ich es geschafft habe. Für die im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubende Aussicht. Für das Leben überhaupt.

Ich glaube, dass Dankbarkeit das Geheimnis eines glücklichen Lebens ist. Wem es gelingt, sich über das zu freuen, was er hat, statt über das zu klagen, was er nicht hat, ist gesegnet. Und weil ich nicht jeden Tag auf einen hohen Berg steigen kann, will ich mir vornehmen, nicht nur gegenüber den Erfolgen meines Lebens dankbar zu sein. Ich will auch die kleinen Dinge sehen, die mein Leben reich machen.

Wenn z.B. an einem grauen Novembertag endlich die Sonne zwischen den Wolken hervorbricht. Oder wenn es im Winter schneit, ich durch den frischen Schnee stapfe und es dann so lustig knirscht. Oder wenn ich zufällig herausfinde, dass ich alles goldene Alupapier einer Rocher-Packung umeinander wickeln kann und dabei wieder ein originalgroßes Rocher herauskommt. Ok, das letzte ist ziemlich banal. Aber ich will dankbar leben und mir ein „Danke, guter Gott“ auch in solchen Momenten zur Gewohnheit werden lassen.

Maurice Meschonat

Vikar der Evang. Christuskirchengemeinde Bad Vilbel