Nun ist sie zu Ende gegangen, die Zeit von Fasching, Fastnacht und Karneval, in der die Närrinnen und Narrhalesen auf den Straßen und in den Hallen fröhlich gefeiert und einander in den Armen gelegen haben. Auch, wenn ich manchem Exzess in der fünften Jahreszeit fraglich finde, beeindruckt mich die Leidenschaft vieler Veranstaltungen. Denn: Letztlich wird hier nicht nur gefeiert um des Feierns willen. Wenn man genau hinguckt, geht es um den Traum von einer besseren Welt.
Das ist kaum zu glauben? Aber es stimmt. Man muss sich nur die verschiedenen Bräuche genauer ansehen. Der Elferrat ist das närrische Gegenstück zu den (zehn) Dezernenten einer Kommune. Nur, dass hier keine Technokraten auf dem Chefsessel sitzen, sondern Menschen wie du und ich. Der Rathaussturm, das Schlips-Abschneiden zur Weiberfastnacht, die Aushändigung des Stadtschlüssels, alles das symbolisiert die Umkehrung der Machtverhältnisse. Wenn die Karnevalisten mit ihren bunten Wagen durch die Straßen ziehen, dann erinnert das nicht von ungefähr an militärische Aufmärsche, wie wir sie zum Glück nur noch aus dem Fernsehen kennen. Der Unterschied: Statt Panzern rollen bunte Wagen, aus den Kanonen kommt Konfetti, die Uniformen sind wenig soldatisch und beim Salutieren wird keinem Führer „Heil“ zugerufen, sondern „Helau“ den Menschenmengen.
Hinter allem steckt das Bewusstsein: Unsere Welt könnte auch eine andere, bessere sein. In der kein Krieg mehr wird sein, kein Leid und kein Geschrei. In der die Mächtigen und die Ohnmächtigen ihre Rollen vertauschen. In der niemand Hunger leiden muss, sondern wo es alles im Überfluss gibt. Diesen Traum träumen Christinnen und Christen seit jeher mit. Auch, wenn wir nicht glauben, den Traum mit ein paar Luftschlangen erfüllen zu können, sondern auf Gottes Hilfe und Beistand bei der Gestaltung unserer Welt setzen. Das Tolle ist: Hin und wieder scheint sie ja auch tatsächlich auf, diese bessere Welt. Symbolisch in den Faschings-Ritualen, aber auch darüber hinaus in kleinen Begebenheiten. Wie zum Beispiel neulich in der Schule. Da erzählte ich im Religionsunterricht etwas über den Zöllner Levi, den keiner mochte. Schließlich hat er die Menschen immer wieder betrogen. Jesus aber ist mit offenen Armen auf ihn zugegangen, und das hat etwas verändert. Levi wurde ein anderer Mensch und hört auf zu betrügen, es war ein Stückchen bessere Welt.
Nachdem ich das erzählt hatte, stand ein Schüler – ein Rabauke! – auf, ging quer durch den Raum und umarmte einen anderen Schüler. Ich fragte ihn nach dem Grund. Seine Antwort: „Ich mag den nicht. Keiner mag den. Aber Jesus sagt, man soll auch die umarmen, die man nicht mag.“ Glauben Sie mir, an diesem Tag haben wir in der Klasse alle etwas von dieser besseren Welt mitten in der unseren durchschimmern gesehen. Ich freue mich, wenn es uns allen immer wieder so geht, auch und gerade nach den närrischen Tagen!
Ingo Schütz, Pfarrer in der Christuskirche in Bad Vilbel