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Anwalt, der über Leichen geht

Überzeugen als Darsteller in unterschiedlichen Rollen: Ismail Deniz, René Oley und Svenja Wasser. Foto: Eugen Sommer
Überzeugen als Darsteller in unterschiedlichen Rollen: Ismail Deniz, René Oley und Svenja Wasser. Foto: Eugen Sommer

Bad Vilbel. »So viele Rollen in nur drei Personen – und so eine opulente, witzige Story in nur einer Stunde.« »Bester schwarzer Humor – aber nichts für schwache Nerven.« Bei dem Drei-Personen-Stück »Achtsam morden« des Autors und Rechtsanwalts Karsten Dusse zeigen sich die Zuschauer im Theaterkeller der Vilbeler Burg begeistert.
Unter der Regie von Ulrich Cyran, in der Dramaturgie von Angelika Zwack und mit Naomi Lohse-Baumert als Regieassistentin gelang es René Oley als Rechtsanwalt Björn Diemel sowie Ismail Deniz und Svenja Wasser in zahlreichen weiteren Rollen die atemberaubende Wandlung eines gestressten Anwalts, Ehemanns und Familienvaters in einen tiefenentspannten Serienkiller nachzuzeichnen. Die Ausstattung obliegt Dorothea Mines, die musikalische Gestaltung verantwortet David Bosch. Im sparsamen, durch Leuchtstäbe effektvollem Bühnenbild entspann sich auf einem Untergrund, der wahlweise wie Strand- oder Treibsand anmutete, die hochdynamische Geschichte des Rechtsanwalts Björn Diemel, der zwischen Beruf und den Machenschaften seines Mafia-Mandanten Dragan, zwischen den Ansprüchen von Ehefrau Katharina und den Vatergefühlen für seine Tochter Emilie den Boden unter den Füßen zu verlieren droht.
Zwischen Beruf
und Machenschaften

Kurz vor Burnout und Scheidung empfiehlt Katharina dem ewig Gestressten eine Achtsamkeitstherapie bei Meister Joschka Breitner. Wie sich herausstellt, handelt es sich bei der nun beginnenden Therapie voller weiser Sprüche zwischen Konfuzius, Buddha und Talmud um eine Art »Entschleunigung auf der Überholspur«, wie Björn Diemel alsbald konstatieren muss. In Gefahr, zwischen den beiden Mafiabossen Dragan und Boris zerrieben zu werden und obendrein auch noch die Sicherheit seiner Lieben zu riskieren, entscheidet sich der Anwalt, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und dabei im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen zu gehen.
Sein erster brutaler Mord an Dragan zieht weitere Taten nach sich, die bei aller Grausamkeit in so hohem Tempo geschildert werden, dass das Kopfkino des Zuschauers zum Teil kaum nachkommt und der Schockeffekt erst mit Verspätung einsetzt – doch da hat die in weiten Strecken erzählte Handlung schon einen neuen Szenen- und Personenwechsel genommen und längst ist wieder Spott und Heiterkeit über Partnerschafts- und Erziehungsprobleme, Therapeutendeutsch, Gentrifizierung, Kinderbetreuung und die Metamorphose des Gangsters Sascha in einen fürsorglichen Erzieher mit Lizenz für das Kitasyndikat angesagt. »Um all die Handlungsstränge im Rahmen eines üblichen Bühnenstücks darzustellen, hätte es einer Unmenge an Personen, Akten, Kulissen und Requisiten bedurft – hier wurde alles mit minimalistischen Mitteln auf das Wesentliche konzentriert und quasi im Zeitraffer vorgeführt«, stellte eine Zuschauerin fest.
Tatsächlich gibt es Planungen bei Netflix, den 2018 entstandenen Roman »Achtsam morden. Ein entschleunigter Kriminalroman« als Serie herauszubringen.
Mehrere Rollen
souverän gespielt

Die hinreißende Dynamik der aktuellen Aufführung im Theaterkeller ist neben Regie und Dramaturgie nicht zuletzt der großen Wandelbarkeit des Ensembles zuzuschreiben.
So übernimmt Ismail Deniz mit Souveränität neben den Rollen der Gangsterbosse Dragan und Boris auch die ihrer mafiösen Assistenten und nicht zuletzt den tragenden Part des stets gelassenen und allgegenwärtigen »Achtsamkeitsfuzzis« Joschka Breiter. Svenja Wasser überzeugt sowohl als Ehefrau Katharina wie auch als schmollendes Töchterchen Emilie, als Gangsterbraut und Gangsterassistent, Polizistin und Anwaltsgehilfin. Sparsamste Requisiten sowie die Beleuchtung unterstützen die jeweilige Verwandlung. Die unglaublichste Veränderung durchläuft jedoch der äußerlich gleichbleibende René Oley als Rechtsanwalt Björn Diemel, der vom Gesetzesvertreter zum Mafiamörder wird, mit radikalsten Mitteln einen Bandenkrieg verhindert und abschließend gelassen feststellt: »Alle halten den Tod für etwas Schlimmes, dabei macht er keine Unterschiede, ist zu 100 Prozent verlässlich und nimmt Sie garantiert so, wie sie sind.«
VON INGE SCHNEIDER