Andere zu achten, das ist leichter gesagt als getan. Wie geht es dem Kind, das von dem Nachbarn angepflaumt wird, es solle gefälligst leiser spielen? Wie geht es der Beraterin der Schuldnerberatung, wenn sich ihr Gegenüber uneinsichtig zeigt? Wie geht es dem Vater, der von der Arbeit nach Hause kommt und seinen arbeitslosen Sohn wieder vor dem Fernseher liegen sieht?
Im Alltag begegnen wir keineswegs immer entspannten und gut gelaunten Menschen. Auch wir selbst sind manches Mal angespannt, stehen unter Stress und wirken unfreundlicher als wir eigentlich sein wollen. Alltäglich geraten wir in Situationen, in denen die Nerven auch der Geduldigsten auf die Probe gestellt werden. Wie reagieren wir? Und wie verändert sich unser Gefühl gegenüber dem Menschen, dem wir begegnen? Es bleibt nämlich nicht immer verständnisvoll und entgegenkommend, sondern es kann sich wandeln, so dass wir die Geduld verlieren oder auch die Freude, mit den anderen in Kontakt zu treten.
„Liebe deinen Nächsten, deine Nächste, wie dich selbst“, hat Jesus gesagt. Mit „Liebe“ ist hier keine zum Valentinstag passende romantische oder erotische Liebe gemeint, sondern der Respekt, die Achtung vor den anderen. Dass wir – so schwierig wir andere finden, so sehr sie uns anstrengen und manchmal bis zur Weißglut reizen – in ihnen doch immer auch die Geschöpfe Gottes sehen, die gleich viel wert sind wie wir selbst.
Im Alltag gilt es, diesen Respekt gegenüber den anderen auch für uns selbst aufzubringen. Auch wir selbst sind wertvoll. Wir brauchen nicht zuzulassen, dass andere uns ausnutzen, uns grenzenlos missbrauchen – sei es als Putzfrau, seelischer Mülleimer oder Fachmann für Computer-Probleme. Da sind wir gefragt, unsere eigenen Grenzen zu erkennen und auszuloten: Was kann ich ertragen? Was bin ich bereit zu ertragen? Wo muss ich mein Gegenüber stoppen, bevor ich vor Wut oder Überforderung zu schreien beginne? Wie kann ich meinem Gegenüber deutlich machen, dass es jetzt genug ist? Jesus spricht in seinem sogenannten „Gebot der Nächstenliebe“ auch von der Liebe zu sich selbst. Lange Zeit wurde dieser zweite Teil des Satzes vernachlässigt. Das Gebot der Selbstaufopferung galt als hohes Ideal.
Das innere Gefühl, wertvoll zu sein – für Gott, für andere Menschen und für mich selbst – hilft, damit ich mit mir selbst geduldig bin, wenn ich spüre, dass ich es heute nicht schaffe, meine Mitmenschen zu achten und sie zu respektieren. Vielleicht gelingt es morgen.
Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,
Ev. Heilig-Geist-Gemeinde
Bad Vilbel – Heilsberg