Karben. Während im Jugendkulturzentrum junge Leute die Schritte des südamerikanischen Lambada-Tanzes kennenlernen, geht es für die Jungs in der benachbarten Kulturscheune um Selbstverteidigung. Tom (10) und Sascha (9) demonstrieren, was sie an diesem Tag gelernt haben. Als Tom Sascha umklammert, tritt dieser ihm – bei der Übung gezielt nicht mit voller Wucht – gegen das Schienbein. So gelingt es Sascha allein schon durch den Überraschungseffekt beim Gegenüber, sich aus der Umklammerung zu befreien.
„Es ist nicht feige, wegzurennen. Besser fünfmal wegzurennen als sich einmal verprügeln zu lassen“, sagt Manfred Heil. Der selbstständige Trainer aus Florstadt bietet den fünftägigen Kurs nach selbst entwickeltem Konzept an. Heil übt seit 40 Jahren die chinesische Kampfkunst Kung-Fu aus und hat diverse Meistertitel errungen. Gemeinsam mit Jörg Simon bietet er Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskurse für Kinder und Jugendliche an.
In dem eigens nur für Jungen angebotenen Kurs sollen diese lernen, möglichst ohne Schaden aus gefährlichen Situationen herauszukommen, erklärt Heil. Diese Situationen können sowohl mit Gleichaltrigen als auch mit Erwachsenen entstehen, die sich den Jugendlichen nähern.
„Wir haben schon gelernt, uns zu befreien“, ruft der achtjährige Jonas stolz. Heil vermittelt den Jungen scheinbar simple Tricks und Kniffe, damit sie sich aus unangenehmen Situationen befreien können. Wenn etwa ein anderer Jugendlicher oder auch ein Erwachsener das Kind an beiden Handgelenken festhält, so sollte das Kind die eigenen Arme zunächst so drehen, dass die Handinnenfläche nach oben zeigt. „Die Hände sollen wie ein geöffnetes Buch, in dem ihr lesen wollt, nach oben zeigen“, erklärt Heil sinnbildlich das Ziel. Tom umfasst die Handgelenke von Sascha. Als nächstes soll Sascha, der sich aus dem festen Griff befreien möchte, einen Schritt zurück machen, um dann die eigenen Hände mit Schwung nach oben rauszuziehen. „Schwups“, schon hat Sascha seine Hände mit einem kräftigen Ruck nach oben aus dem festen Griff befreit. Das könne gelingen, so Heil, weil durch das Drehen der Hände auch die Arme des Angreifers so mitgedreht würden, dass dessen Daumen nach oben zeigten.
Und mit diesen hätte das Gegenüber viel weniger Kraft zum Widerstand als mit den anderen Fingern. Ist es gelungen, sich aus dem Griff zu befreien, so sollten die Kinder wegrennen.
Auf dem Rückweg von der Schule sei er schon einmal von einem Fremden angesprochen worden, ob er ihn nach Hause fahren solle, erzählt Tom. „Da bin ich einfach weitergegangen“, sagt er. Das habe er genau richtig gemacht, lobt Heil. Im Verlauf der weiteren Übungsstunden werden die Jugendlichen in Rollenspielen lernen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie aus einem Auto heraus angesprochen werden. „Die wichtigste Regel lautet, Abstand zu halten“, sagt Heil.