Dort, wo sonst das Auge nur Leere und Einöde sah, geht es lebendig und farbenfroh zu. Über 200 verschiedene Pflanzenarten sind zum Leben erwacht und haben die Atacamawüste im Norden Chiles in ein Blumenmeer verwandelt. Die Wüste blüht auf! Dabei wurde an vielen Orten jahrzehntelang kein Regen mehr registriert. Die Atacamawüste ist eine der trockensten Landschaften der Erde. Doch ein plötzlicher Regenfall hat ein Pflanzenwachstum hervorgerufen wie seit 18 Jahren nicht mehr. Die Erklärung für dieses außergewöhnliche Naturschauspiel: Jahrelang haben die Pflanzensamen die Trockenheit im Boden überdauert. Der plötzliche Regen hat die Pflanzen zum Leben erweckt und die Wüste in ein Blumenmeer verwandelt.
Als ich diesen Bericht im Fernsehen sah, dachte ich: Das ist wie ein Gleichnis für die Verheißung der vor uns liegenden Adventszeit. Unsere innere Wüste wird verwandelt werden und zu blühen beginnen. Es wird wieder lebendig, was ausgetrocknet war. Grau in grau und schwarzweiß werden farbenfroh. Das wäre eine fruchtbare Adventszeit 2015. Doch Geschäftigkeit und Hast unserer Tage haben uns fast vergessen lassen, dass diese Tage vor Weihnachten ursprünglich als eine Fastenzeit gemeint waren. Eine Zeit der Vorbereitung, der Einkehr, der Stille, der Wüste. Im Advent soll es um das Allerschwierigste und zugleich Allerwichtigste in unserem Leben gehen: Nicht vor sich selbst zu fliehen in Geschäftigkeit und Zerstreuung, sondern die eigene innere Leere und Einöde aushalten zu lernen – auf dass die Wüste zu blühen beginne.
Worin besteht der Segen der Wüste? Warum sind Wüstenzeiten so kostbar? In der Stille soll zum Schweigen kommen, was „die Anderen“ meinen, raten, loben, Infrage stellen. Und es soll aufsteigen dürfen, was wir lange verdrängt haben, wo wir Stimmen im Leben folgen, bewusst oder unbewusst, die uns in Abhängigkeit halten: von eigenen Vorstellungen, von Süchten, von Menschen, von falschen Gottesbildern. Denn viele Stimmen sind es, die auf uns einreden, die an unserer Seele zerren, von außen wie von innen. Daher brauchen wir Zeiten, damit in uns Raum greift, was wirklich in uns ist.
Advents- und Wüstenzeiten sind Zeiten der Erwartung auf das, was wir nicht machen können, weil Gott es schenken wird. Immer wieder wollen wir Gott außerhalb unserer selbst begegnen: Auf den Prachtstraßen des Erfolgs, der Gesundheit oder der eigenen Leistung. Aber Gott begegnet uns in der Wüste. Er will uns dort begegnen, wo wir uns eigentlich nicht gerne aufhalten, dort, wo wir die Gebrochenheit und tiefe Fragwürdigkeit unseres Lebens empfinden. Hier trifft er uns. Hier zeigt er uns, wie sehr er uns liebt.
Wo wir Gott in unsere Wüste hineinlassen, da beginnt die Wüste zu blühen! Wo wir Christus in der Wüste unseres Lebens begegnen, da werden die Samen zum Leben erweckt, die vielleicht jahrzehntelang unter Wüstensand verborgen waren. So wird Wirklichkeit, was der Prophet Jesaja verheißen hat: „Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude.“ (Jesaja 35,1.2)
In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gesegnete Adventszeit.
Ihr Pfarrer Johannes Misterek
Ev. Kirche Massenheim