Als das Volk Israel sich vor mehreren tausend Jahren auf den Weg gemacht hat, um aus der Knechtschaft in Ägypten nach Israel ins Gelobte Land zu ziehen, da wusste keiner, was in den kommenden Jahren auf ihn zukommt. Trotzdem sind die Menschen losgezogen und haben eine Tradition begründet, die bis heute zu Judentum und Christentum gehört: Das wandernde Gottesvolk. Jesus hat diesen Grundgedanken aufgenommen und weitergeführt: Er ist umhergewandert von Dorf zu Dorf, er ist also Wege zu den Menschen seiner Zeit gegangen. Seine Anhänger waren mit ihm unterwegs. In der Zeit der ersten Christengemeinden waren Paulus und viele andere unterwegs, um den Glauben an den Mensch gewordenen Gottessohn Jesus zu verkündigen. Christentum ist immer in Bewegung. Vor fast 500 Jahren hat Martin Luther daran angeknüpft. Die sehr festgefahrenen Strukturen der Kirche seiner Zeit hat er aufbrechen wollen. Luther wollte keine neue Kirche, sondern im Sinne des wandernden Gottesvolkes neu unterwegs sein und Kirche reformieren. Andere aber hatten Angst vor seiner Dynamik und warfen ihn aus der Kirche seiner Zeit raus. Sehr schnell ist damals Neues gewachsen – aber in den folgenden Jahrhunderten ist auch dies in vielerlei Hinsicht sehr fest geworden, Strukturen sind entstanden und eine innerkirchliche Hierarchie, mächtige Kirchenverwaltungen und traditionsverbundene Kirchenleitungen. Ist eine solche Kirche noch „Kirche unterwegs“, wanderndes Gottesvolk?
Für Luther musste Kirche immer reformbereit sein: Damit die Inhalte des Glaubens in jeder Zeit neu verstanden und gelebt werden können, müssen die Formen an die Zeit angepasst werden. Wichtig ist ein Festhalten an den Inhalten – sehr schnell aber halten wir Menschen an Formen fest, in denen wir selbst aufgewachsen sind und die uns lieb geworden sind… Ein im biblischen Sinne verstandenes Gottesvolk aber ist immer auf der Wanderschaft, unterwegs zu neuen Ufern.
In der Ev. Christuskirchengemeinde verstehen wir uns in diesem Sinne „auf dem Weg“: mit neuen Formen von Gottesdiensten und Gemeindearbeit wollen wir Menschen ansprechen und einladen, denen die alten tradierten Formen heute nicht mehr viel sagen. Wir erleben, dass viele dafür sehr offen sind und bereit sind, sich miteinander auf den Weg des gelebten Christseins in unserer Zeit zu machen.
Ob das auch für die evangelischen Landeskirchen in Deutschland gilt? Und welchen Stellenwert darin die Gemeinden vor Ort haben werden? Manche meinen, sie wären heute nicht mehr in der Lage, zeitgemäß Menschen zu erreichen… Aus unserer Bad Vilbeler Erfahrung heraus sehen wir das anders: Kirche kann und Kirche muss sich immer neu reformieren. Das ist das Erbe Martin Luthers. Jedes Jahr am 31. Oktober erinnern sich evangelische Christinnen und Christen an den Beginn der Reformation mit dem legendarischen Thesenanschlag Martin Luthers an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg.
Herzliche Grüße,
Ihr Pfarrer Klaus Neumeier, Bad Vilbel