Bad Vilbel. Die Klagen nehmen kein Ende: Wir bekommen keine Kinder mehr und das System Familie kollabiert. Schlimm sei das nicht, findet die Journalistin Iris Radisch. Bei der Sonntagsmatinee in der Burg las sie aus ihrem 192-seitigen Buch „Schule der Frauen – Wie wir die Familie neu erfinden“. Moderiert wurde die Lesung von Ruth Fühner. „Das Buch ist leicht, verspielt, ironisch und lebt von Gegensätzen“, skizzierte Fühner das Erstlingswerk der Autorin, das als kluge und selbst reflektierte Diagnose unschlagbar ist.
Für das Entstehen des Buches führte Radisch zwei Gründe an. Zehn Jahre hat sie voll gearbeitet und während dieser Zeit drei Kinder bekommen. Von den dabei entstehenden Problemen erzählt sie. Der zweite Grund war ihr persönlicher Ärger über die Familiendebatte vor zwei Jahren, als den jungen Frauen suggeriert wurde, dass die Deutschen aussterben, weil der weibliche Teil der Bevölkerung nur an Karriere denken. Bei dieser Debatte sei zu viel Ideologie im Spiel, mit viel zu viel Nebeninteressen.
Denn Radisch ist sich sicher: Zu wenig Kinder sind nicht zwingend der biologische Supergau. Die „Laiendemografie“, dass künftig nur noch Wölfe und Hundertjährige Deutschland beherrschen, habe viel Unheil angerichtet.
Wenn wahr sei, dass hohe Geburtenzahlen soziale Sicherheit garantierten, dann müsse es um Ruanda und den Kongo gut bestellt sein. Schlagfertig und ohne jede ideologiebelastete Besserwisserei machte Radisch am Pilati- oder Doris-Modell die erotische Optimierung der Existenz in unserer Wohlstandsgesellschaft deutlich. Polemisch beschrieb sie die amouröse Verjüngung älterer Männer, die entmutigend auf junge Frauen wirkt. Als Jungbrunnen für ältere Herren habe noch keine ihr Glück gefunden.
Deutlich wies sie darauf hin, dass das öffentliche Bild von biologischen und familiengeschichtlichen Schieflagen bestimmt ist. Hohe Scheidungsraten und die ständig wachsende Zahl von Singlehaushalten symbolisierten, dass niemand mit sich selbst zufrieden sei und mit jemandem ähnlichen erst recht nicht. „Eine neue Moral der Ehe wird nicht gelingen, aber eine neue Moral gegenüber der Verantwortung für Kinder sollte angestrebt werden“, sagte Radisch.
Die aus dem Konsumleben gelernte ständige Überbietung von Glückskonzepten sei für das Familienleben von Nachteil. In der Diskussion ging die Autorin auf die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern ein. Immer lebe man als Frau mit den Schuldgefühlen, zu wenig Zeit für die Kinder zu haben. Beruf und Kinder sei ohne innere Verwundung nicht möglich. Als Lösung empfahl sie Zeitschutzzonen, als Rechtsanspruch für Familienzeit, über die ersten drei Jahre hinausgehend. Die Arbeitszeit der Eltern sei zu lang und biologische Rhythmen und Rhythmen der Arbeitszeit zu wenig aufeinander abgestimmt. Zwei bis drei Nachmittage, an denen Vater und Mutter ab 15 Uhr gehen können, seien optimal. Dass sich die Wirtschaft auf ein derartiges Konzept einlässt, wurde von den Zuhörern bezweifelt. Die Angst um die Arbeitsstelle sei ein großer Unsicherheitsfaktor. (gia)