Seit letzter Woche verbringen wir wieder viel Zeit im Krankenhaus. Auf einer Station, auf der es nicht nur Missmut und Leiden zu betrachten gilt. Wo wir sind, da gibt es auch viel Freunde, Glück und Dankbarkeit.
Die Säuglingsstation in einem Frankfurter Krankenhaus, auf der unsere am letzten Dienstag geborene Tochter Johanna liegt, beherbergt viele bunte Menschenkinder. Einige sind etwas zu früh aus ihrer Mütter Leib gekommen und müssen deshalb genau beobachtet werden. Andere haben eine Verletzung, eine Krankheit mit auf die Welt gebracht, die behandelt werden muss. Und manche wurden so viele Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin zur Welt gebracht, dass Ärzte und Eltern um ihre Gesundheit, ja: um ihr Leben bangen. Diese winzigen Frühchen liegen dann in Inkubatoren, Brutkästen, unter blauem Neonlicht, mit Elektroden angeschlossen an Maschinen, die ihren Herzschlag, ihren Blutsauerstoff und allerlei andere wichtige Funktionen permanent überwachen.
Man merkt auf dieser Station: Ein Kind zur Welt zu bringen, das ist nicht immer nur etwas Schönes, nicht immer nur Grund zur Freude. In das Erstaunen über das Wunder neuen Lebens mischen sich Sorge, Angst und Hilflosigkeit. Gefühle, die in unserer Welt mit einem hervorragenden und historisch einmaligen Gesundheitssystem oft verloren gegangen zu sein scheinen. Dabei gehören diese Gefühle zum Beginn des menschlichen Lebens wie zu seinem Ende eigentlich unabdingbar dazu.
Über Jahrtausende menschlicher Geschichte hinweg waren Schwangerschaften immer auch von der Frage begleitet, was werden würde. Kommt das Kind gesund zur Welt oder geht es schon vorher verloren? Wird es sich einfinden ins Leben oder nicht lange bei uns bleiben? Ist es stark genug um ein eigenes Leben zu führen, oder ist es krank und für immer auf Hilfe angewiesen? Werde ich selbst die Strapazen der Schwangerschaft und der Geburt überstehen und, auch diese dramatische Frage hatte ihre Berechtigung, überleben?
Liest man die Biografien berühmter Persönlichkeiten vergangener Jahrhunderte, dann wird einem klar: Bis in die Neuzeit hinein konnten keineswegs alle dieser Fragen immer positiv beantwortet werden. Johann Sebastian Bach etwa hatte aus zwei Ehen 20 Kinder, von denen neun bereits im Kindesalter starben. Die Quote von Leben und Tod ist bei anderen Zeitgenossen ähnlich.
Uns haben die Besuche auf der Säuglingsstation noch einmal deutlich gemacht, wie zerbrechlich menschliches Leben ist. Wenn ein Kind geboren wird, ist das nicht immer nur Grund zu Freude und Dankbarkeit. Sondern oft genug auch Anlass zu Sorge, Angst und Hilflosigkeit. Da ist es kein Allheilmittel, aber allemal ein großer Trost, dass Gott von sich selber sagt: „Ich bin der Herr, dein Arzt“ (2. Mose 15,26).
Die Ärzte geben alle ihr Bestes, und in den allermeisten Fällen gelingt ihnen, was sie tun. Aber sie wissen auch, und vermitteln den bangenden Eltern dieses Wissen: Am Ende steht das Gelingen ihrer Arbeit, steht das gelingende Leben nicht in unserer Hand. Zu wissen, dass Gott sich selbst als einen Arzt versteht, gibt mir Mut. Er gibt sein Bestes für uns, und in jedem Fall steht unser Leben, ob wir es als gelungen empfinden oder nicht, in seiner Hand.
Wer auf diesen Gott vertraut, bei dem können sich zwischen Missmut und Leiden dann auch wieder Freude, Glück und Dankbarkeit mischen. Gefühle, die ausstrahlen. Als ich zufällig im Krankenhaus eine Bekannte aus der Gemeinde traf, die wegen eines Tumors behandelt wurde, sprach keine Angst aus ihrem Gesicht. „Wissen Sie, ich bin in guten Händen“, sagte sie. „Ich bin“, sagt Gott, „der Herr, dein Arzt.“
Ihr Pfarrer Ingo Schütz
Ev. Christuskirchengemeinde Bad Vilbel