Manch einer ahnte es schon vor dem Spiel: Ob wir die Argentinier gehörig vermüllern, verklosen oder verkroosen, das steht nicht nur in den Sternen, sondern auch in den Stirnen. Mit anderen Worten: Die Psyche spielt mit. „Mein Seelchen, Du, meine Seele …“ Das hätten wir hinter uns! Wir konnten den Gegner buchstäblich „erGötzen“.
Was für ein Kampf, was für eine Zerreißprobe, was für ein schönes, glückliches Ende? Männer vergießen Tränen. Nicht wenn sie heiraten, nicht wenn sie Vater werden, Männer weinen so herzzerreißend nur beim Fußball. Deutschland ist Weltmeister! Mit einer echt großen Mannschaft und auch absolut verdient.
Uns fehlen ein Messi, Robben oder Ronaldo, aber unser Vier-Sterne-Star, das ist die Mannschaft. Die hat in den letzten Spielen berauscht, mit deutschen Tugenden gewiss, aber auch mit sehenswerter Taktik und Technik.
Mit diesem hinreißend erkämpften Sieg wäre nun auch die scherzhaft hochgezogene Papstfrage entschieden. Benedikts letzter Glanz, auch wenn sein Papamobil im Autokorso nicht gesichtet wurde. Er hat, sagen Fußballgläubige, verhindert, dass Gott aus den Wolken, wie einst dem Heiland Maradona, auch Messi die Hand für ein himmlisches Tor leiht. Welche Freude!
Und er hat es doch, das Sieger-Gen! Joachim der Heilige hat am Ende alles richtig gemacht und verdient gewonnen. Zu Recht ist er jetzt nach Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer als vierter deutscher Weltmeister-Trainer ins Pantheon der Fußballgötter aufgestiegen. Was für ein Sonntag, dieser 13. Juli 2014!
Aber wir wollen auch nicht vergessen, dass Löw von der Sport-Öffentlichkeit zu seinem Glück förmlich gedrängt wurde, die unsinnigen, von Hunderten Sportverständigen zerrupften Personalverschiebungen zu beenden, zum seriösen Fußball zurückzukehren und juvenile Chaosforschungen in den Lokus der Fußballgeschichte zu kippen, die uns um ein Haar gegen Ghana und Algerien aus der Bahn geworfen hätten. Jetzt zeigte uns Kapitän Philipp Lahm im Finale mit einem Traumspiel, wie überragend er als Rechtsaußen Maßstäbe setzt. Leidenschaft und Kampf der Mannschaft – von Boateng über Özil bis zu Schweinsteiger und Klose – das war großes Kino auf dem grünen Rasen, gekrönt durch ein Zaubertor von Mario Götze, eine Bestätigung auch für den englischen Ex-Profi Gary Lineker: Am Ende gewinnen die Deutschen!
Messis Wahl zum besten Fußballer des Turniers geht schon in Ordnung, er hat zwar konkret nicht viel erreicht, aber immer große Gefahr ausgestrahlt und ist schon eine Klasse für sich, wie er vier, fünf Spieler mit einer erschreckenden Leichtigkeit austanzt, sie zu Zuschauern seiner Ballkunst degradiert.
Einziger Konkurrent wäre Arjen Robben gewesen, doch dem theatralisch frei herumfliegenden Holländer fehlt so das Format eines fairen Sportlers.
Torwart Manuel Neuer hingegen spielte als virtuoser Solist in einer eigenen Superklasse: Effektiv, verlässlich, modern –besser geht es nicht. Die Trophäe bezeugt es.
Bei dem zuweilen einäugigen italienischen Schiedsrichter Rizzoli hingegen können sich die Argentinier Mascherano, Aguero und Ezequiel Garay herzlichst bedanken, dass sie dieses finale Match zu Ende spielen durften.
Bleibt ein letztes Fazit: Was wir insgesamt erlebt haben, das waren mitreißende, dramatische Spiele, Tore satt, jubelnde Zuschauer, eine erstklassige deutsche Mannschaft – alles in allem ein monumentales Fußballwunder, leider auch ein Begräbnis des brasilianischen Fußballs. Ich hätte am liebsten mit den Brasilianern mitgeweint. So große Opfer gebracht für diese WM und die Selecao versagt so kläglich! Das aber ist Fußballgeschichte, Fußballgeschichte wie sie das Leben schreibt: Dort unfassbare Trauer, hier unbändiges Glück! Fußballherz, was willst du mehr!
Horst Samson