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Abschied von alten Bildern

Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihrs denn nicht? Ich mache einen Weg in der Wüste und Wasserströme in der Einöde (Jesaja 43, 19)

Lieber Advent,

Du beginnst gerade, aber ich will Dir einen Abschiedsbrief schreiben. Bitte keine voreiligen Schlüsse. Mit Dir bin ich nicht fertig, aber ich wünsche mir dringend einen neuen Anfang. Ich will von diesem alten Bild von Dir Abschied nehmen. Du sollst keine verzerrte Karikatur sein. Dafür bist Du mir zu wichtig.

Dabei, ich erinnere mich, war es erst so schön mit Dir: In den spannungsvollen Wochen vor Weihnachten war mir Dein Bild stets herrlich geheim; ich sammelte alle Auskünfte über Dich. Manchmal hob sich ein wenig der Schleier und es schimmerte golden dahinter und duftete. Du glaubst gar nicht, wie oft ich als Kind den Kalender in die Hand nahm und Deine Tage zählte; das Törchen mit der silbrig glitzernden 24 war mir immer besonders wichtig, das war dann schon fast das Paradies… Komisch, mit den Jahren wurde die Glitzerschicht dünner, fast kitschig wirkt es jetzt manchmal.

Wenn Du mich nun fragst, wann sich denn unsere Beziehung zu wandeln anfing, antworte ich nur zögernd. Irgendwann verschwand der herrliche Zauber, irgendwann hielt ich vergebens Ausschau nach dem, was mich Jahr für Jahr in eine andere, schönere Welt versetzt hatte. Plötzlich bemerkte ich, dass Du manchmal verbrannt riechst, dass gestresste Wachstropfen herunter laufen an Dir und dass Deine Lichter ausgeblasen werden mussten, damit kein Unglück geschah. Plötzlich las ich all die Schlagzeilen über Terror und Bomben, Gewalt und Krankheit, Verzweiflung, Taifune und Tod. Und in Deinem Kerzenlicht erkannte ich die Dunkelheit dieser Welt; verstehst Du – da war es vorbei mit den Rauschgoldengeln. Ich sah die ganze Erbarmungswürdigkeit und Erbarmungslosigkeit dieser Welt. Dein Goldlametta war nur Schutzschicht, entschuldige, ich weiß, Du hast das nie gewollt, so eine Schutzschicht, aber ich habe sie glaube ich gebraucht.

Nun will ich gar nicht Abschied nehmen von Deinem Schmuck, der Dich so festlich macht. Mein Abschied gilt Deinem goldenen Rahmen, ohne den ich Dich als Kind allerdings nie geliebt hätte. Ich will jetzt Abschied nehmen von der kindlichen Ahnungslosigkeit.

Du fragst, warum? Weil ich über dem Glitzern auf dem 24. Türchen das Kreuz erkennen konnte. Weil dieses Kreuz das Zeichen für den ist, der die Erbarmungswürdigkeit der Welt, auch meine, auf sich genommen hat. Weil da ein Gott kommt, der den Tod und das Leiden und den Schmutz der Welt kennt und die kennt, die um mich herum trauern, wo ich oft so hilflos bin. Weil Du jetzt nicht mehr mit künstlichem Leuchten und Lametta blenden musst. Nun weiß ich, worauf ich mich durch Dich, Advent, Ankunftsbote, freuen kann. Danke, ich sehe, Du freust Dich mit mir. Du siehst nun richtig festlich aus, jetzt brauche ich Schnee und Lametta nicht als Anlass zur Freude. Ich erkenne Dich trotzdem. Und das Leben macht Sinn.

Und mit Dir wird mir´s dann warm im Herz und Sinn.

Danke, dass Du alle meine Missverständnisse ausgehalten hast. Mach´s gut, und segne all die Menschen, die das hier lesen und die, die es nicht zur Kenntnis nehmen,

Dein Pfarrer Werner W. Krieg,

Evang. Kirche Massenheim