Sonntag ist Volkstrauertag: Im Bundestag wird in einer Feierstunde der Gefallenen der Kriege und zum Glück seit langem auch der Opfer von Krieg, Gewalt und Terrorherrschaft gedacht. Das ist gut so. Zum einen leben – noch – Betroffene des vergangenen Weltkrieges und auch in den letzten Jahren sind Soldaten bei Kriegseinsätzen ums Leben gekommen. Zum anderen mahnt jede und jeder Tote uns zu Frieden und gewaltlosem Klären von Streitigkeiten. Das Leben ist kostbar und einmalig und darf nicht durch Menschenhand beendet werden. Dazu mahnt uns nicht allein die christliche Bibel, dazu mahnen alle Religionen und der Humanismus. Es ist gut, dass wir weit entfernt sind von einer „Hurra“-Kriegsstimmung, in der vor fast 100 Jahren 1914 Männer Europas in den 1. Weltkrieg gezogen sind.
Aber trauert ein Volk? Trauert Deutschland? Sind Krieg und gewaltsamer Tod nicht viel zu weit weg? – Ja: Gott sei Dank sind sie weit weg. Es ist Verdienst besonnener deutscher Politik und zugleich Geschenk, dass wir viele Jahrzehnte mit äußerem Frieden erleben durften und dürfen. Aber deswegen sind wir noch lange kein Land des Friedens. Ungerechtigkeit und Habgier, Machtgelüste und ausgelebter Neid bestimmen im Großen und im Kleinen unser Leben täglich mit. Das gilt auch in Bad Vilbel und in der Wetterau. Das gilt auch im eigenen Privatleben…
„So sind wir Menschen eben“ kann man sagen. Ja, sicher. Aber das darf kein Grund zur Gleichgültigkeit sein! Für ein Land des Friedens bräuchten wir viel mehr Chancengleichheit junger Menschen unabhängig von der Herkunft, dem Bildungsstand und dem Geldbeutel ihrer Eltern. Für ein Land des Friedens bräuchten wir viel mehr Ausgleich zwischen Arm und Reich in unserem Land – oder sollen wir es einfach hinnehmen, dass Klassenfahrten oder Jugendfreizeiten für viele aus eigener Tasche nicht bezahlt werden können? Und diverse ärztliche Leistungen nicht und Extras ohnehin nicht; und das, obwohl Menschen einem vollen Job nachgehen! In einem Land des Friedens hätten Mobbing und üble Nachrede ebenso wenig Platz wie Ausländerhass, Zwangsprostitution, menschenunwürdige und endlose Asylverfahren, Ausbeutung von Arbeitskräften und deren indiskutable Unterbringung und so weiter.
Für ein Land des Friedens bräuchten wir Trauer! Wir bräuchten die Trauer über Unfrieden und Ungerechtigkeit als Motor für Veränderung. Trauer ist nie schön. Trauer ist immer eine Krise. Aber es gibt keine bessere Motivation für Veränderung. Ich wünsche mir Trauer über Unfrieden und Ungerechtigkeit unter uns und Mut und Entschlossenheit zur Veränderung mit kleinen Schritten im eigenen Umfeld.
Pfarrer Dr. Klaus Neumeier,
Ev. Christuskirche, Bad Vilbel