Es wird wohl als Experiment in die Annalen eingehen: Zum nächsten Schuljahr will die Kurt-Schumacher-Schule in Karben zum neunjährigen Abitur zurückkehren. Lehrer, Eltern und Schüler lassen am Turbo-Abi kaum ein gutes Haar.
Karben. Das ist mal ein ordentlicher Arbeitstag: Von 8.15 bis 17.35Uhr besuchen Schüler der Kurt-Schumacher-Schule (KSS) in Karben pro Tag maximal ihre Lehranstalt. Natürlich drücken sie nicht durchgehend die Schulbank. Die Pausenzeiten aber beschränken sich auf zweimal zehn Minuten vormittags, 45Minuten am Mittag und zehn Minuten nachmittags. Trotzdem sind auch in der zehnten und elften Stunde noch volle Aufmerksamkeit und Teilnahme gefordert.
Eine derartige Belastung ist den Schülern, Lehrern und Eltern in Karben nun endgültig zu viel. In der Schulkonferenz haben sie beschlossen, dass die KSS beantragt, zum nächsten Schuljahr vom achtjährigen Turbo-Abitur zur neunjährigen Gymnasialzeit (G9) zurückzukehren.
„G9 lässt unsere Schüler besser reifen“, erklärt Schulleiter Franz Wild und ist zufrieden mit der Entscheidung. Er hatte sich lange gegen einen schnelle Abkehr vom Turbo-Abi gewandt – mit der Begründung, dass in der Schule nach der G8-Einführung zunächst Ruhe einkehren müsste. Die letzten „alten“ G9-Schüler hatten die KSS mit dem Doppeljahrgang diesen Sommer verlassen.
Die Entscheidung der Schulkonferenz sei einstimmig gefallen, erläutert Wild. Sie fußt auf einem umfangreichen Konzept, das die Schule seit dem Frühjahr erarbeitet hatte. Sowohl die eigenen Erfahrungen mit beiden Systemen wie auch die Erfahrungen anderer Schulen mit ihrer Rückkehr zu G9 seien eingeflossen. Ergebnis: „Mit G9 können wir besser als Gesamtschule funktionieren“, sagt Wild.
So werde die Durchlässigkeit zwischen Haupt-, Real- und Gymnasialzweig besser – einer der großen Vorteile von Gesamtschulen. Außerdem sei beispielsweise wieder die zweite Fremdsprache ab Klasse sieben möglich, sagt Wild.
Hohe Stressfaktoren
Mit der Rückkehr zu G9 werde die KSS aber nicht einfach zu den früheren Methoden und Verfahren zurückkehren. „Dahinter steckt ein völlig neues Konzept“, sagt der Schulleiter, „denn die Bildungslandschaft hat sich ja in zehn Jahren völlig gewandelt.“ Der Wechsel nun sei zum Start des neuen Konzepts der richtige Zeitpunkt, findet der Direktor.
Auf Seiten der Elternschaft hat es „keine Gegenstimme“ gegen die Rückkehr zu G9 gegeben. „Bei G8 sind die Stressfaktoren sehr hoch“, erklärt der Vorsitzende des Schulelternbeirats, Marcus Poggenpohl. „Da bleibt die individuelle Förderung von Schülern auf der Strecke.“ Das achtjährige System sei deutlich belastender für Schüler, Eltern und die Schulen als das neunjährige. „Es fehlt besonders für schwächere Schüler die Zeit zum Lernen, Üben und Wiederholen“, erläutert Poggenpohl.
Als eine Ursache dafür macht er grundlegende Webfehler des Systems G8 in Hessen verantwortlich. „In den vergangenen zehn Jahren ist es versäumt worden, G8 so aufzustellen, dass es auch für G9-geeignete Schüler sinnvoll nutzbar ist“, sagt Marcus Poggenpohl. Nicht nur: „Es ist für die Schüler und ihre Familien kaum lösbar, wie sie Schule, Freizeitaktivitäten und Hausaufgaben auf einen Nenner bringen“, erklärt er. Seit Jahren klagen beispielsweise Vereine unter Hinweis auf G8 über Nachwuchsprobleme.
Poggenpohl räumt allerdings ein: Die Entscheidung betreffe allein künftige Schüler- und Elterngenerationen, beginnend mit dem nächsten fünften Schuljahr. Dennoch ist er sicher, auch für sie zu sprechen: In vielen Gesprächen mit Grundschuleltern hätten diese ausnahmslos für G9 plädiert. „Die Eltern wollen ein Ganztagsangebot auch in der weiterführenden Schule, aber keine Ganztagsschule.“
Ansturm erwartet
Zum Wunsch der Schule müssen nun der Wetteraukreis als Schulträger sowie das Schulamt in Friedberg Ja sagen. Bis Ende Oktober hofft Wild auf eine Entscheidung, damit die Eltern der künftigen Fünftklässler im November derart informiert werden können.
Und die Folgen? An der Schumacher-Schule schließt man mit der Abkehr zum Turbo-Abi sogar einen Ansturm von Schülern nicht aus. „Das hängt davon ab, wie sich die Gymnasien in Bad Vilbel und Friedberg entscheiden“, erklärt Franz Wild, und davon, ob diese das Turbo-Abi beibehielten. „Wir haben ganz viele Nachfragen von Eltern nach G9.“ (den)