Bis zum 30. September muss sich Investor Changqing Lu entscheiden: Soll es einen „Chinagarten“ in Bad Vilbel geben oder nicht? Für die Stadt könnte das bedeuten, mit einem Schlag schuldenfrei zu sein. Doch hinter dem Geschäft mit dem Partner aus der Ferne könnten auch Risiken lauern.
Bad Vilbel. Es genügt nicht, an den Fluss zu kommen, nur mit dem Wunsch, Fische zu fangen. Man muss auch das Netz mitbringen. – Es ist eine chinesische Weisheit, die im Glückskeks eines China-Restaurants stehen könnte. Doch in Bad Vilbel könnte sie Realität werden. Denn dort will Changqing Lu Fische fangen. Der Unternehmer aus Peking träumt von seinem eigenen China Town – und das mitten in der Quellenstadt.
„Jeder kennt den Begriff China Town. Aber für viele bedeutet er nur einige chinesische Restaurants, dreckige Straßen und chinesische Geschäfte“, erklärt Lu bei einem Besuch, wie die Internetplattform EU People in ihrer chinesischen Rubrik zitiert. „Das Projekt ,Chinagarten‘ soll das ändern.“ Im Großhandelszentrum will Lu Produkte aus Asien anbieten -als „Schaufenster der Waren Chinas“- und so den europäischen Markt erschließen.
Im Dezember unterzeichnete Lu den Vertrag, der ihn dem Traum vom „Chinagarten“ ein Stück näher bringt. Er sicherte sich das Vorkaufsrecht für die Flächen im „Quellenpark“ beziehungsweise „Im Schleid“. Kaufpreis: 93,8 Millionen Euro. Vertragspartner ist Lus in der Friedberger Straße gemeldete Firma BCT International Investment, die er mit Geschäftspartner Shuping Huang führt.
Zwei Kaufoptionen stehen dabei offen: Entweder 50Prozent des Grundstücks, gemessen am Wert, und die Option, innerhalb von einem Jahr die andere Hälfte zu erwerben. Ehrenstadtrat Klaus Minkel (CDU), der bei dem Geschäft die Fäden zieht, hält das jedoch für unwahrscheinlich. Vielmehr gehe er von einem „Alles oder Nichts“ aus. Das „Alles“ wäre in diesem Fall der 100-prozentige Kauf.
Null, 50 oder 100 Prozent: Entscheiden muss sich Lu bis zum 30.September. „Wir stehen im regelmäßigen Kontakt mit den Investoren“, sagt Minkel. „Dabei geht es nicht nur um die Grundstücke, sondern auch um das allgemeine Interesse an der Region.“ Das soll auch die Imagewerbung ankurbeln, die die Stadt in der Renmin Ribao, der chinesischen Volkszeitung, schaltet. Zweisprachig wird dort für den Chinapark in Bad Vilbel, „einem der besten Standorte der Region“ im „Herzland Europas“ geworben. Die Europäische Schule wird als „eine der weltbesten Schulen“ angepriesen, die „intakte Natur im Stadtwald“ gelobt.
Die Quellenstadt und das „Reich der Mitte“ wollen näher zusammenrücken, das wird zunehmend deutlich. Im Juli war eine Delegation eines chinesischen MBA-Hochschulkurses vor Ort. Gemeinsam mit Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) und Minkel haben Studenten, Professoren und Geschäftsleute die Stadt besichtigt. Ein Phänomen, das auch andernorts anzutreffen ist: In Friedberg wird nach dem kürzlichen chinesischen Besuch über eine Partnerschaft gesprochen, im Oberurseler Gewerbegebiet wollen Chinesen fünf Millionen Euro für ein Bademoden-Zentrallager investieren.
Dabei läuft chinesisches Geschäftemachen anders als deutsches, warnt die Bad Vilbeler Journalistin Yiyuan Zhou: „Deutsche Unternehmer unterschätzen die kulturellen Unterschiede oftmals.“ Sie warnt: „All diese schönen Worte bei den Besuchen werden in China tagtäglich gesprochen, es sind lediglich leere Sätze. Auch ein Vertrag zählt – im Gegensatz zu Deutschland – nichts; ein Chinese unterschreibt alles, wenn es in dem Moment dienlich ist.“
Volle Summe fällig
Bad Vilbel scheint sich jedoch gut abgesichert zu haben. Denn auch bei der Bezahlung gilt „Alles oder Nichts“. Bis 31. Dezember müsste bei der Entscheidung für den Kauf die volle Summe von 93,8 Millionen Euro eingegangen sein – oder der Vertrag verfällt. In jedem Fall seien 100000 Euro als eine Art „Bearbeitungsgebühr“ fällig, die im Falle des Kaufs verrechnet würden.
„Würde der Kauf realisiert, wäre Bad Vilbel hinsichtlich der Kämmereischulden schuldenfrei, was nur den allerwenigsten Städten in Deutschland gelingt“, erklärt Bürgermeister Stöhr. Auch Zhou findet: „Wenn das Geld da ist, ist das ein guter Schritt für die Stadt.“ Sie warnt jedoch vor Modellen, die beispielsweise eine Teilzahlung ermöglichen würden – wo Minkel sofort beruhigt: „Das Geld muss im Kasten sein, allein darauf kommt es an“.
Ob der Geschäftsmann Lu letztlich von seinem Kaufrecht Gebrauch machen wird, darüber will Klaus Minkel nicht spekulieren. „Prognosen sind schwierig, besonders, wenn es um die Zukunft geht.“ Auch Stöhr sagt nur: „Nach Ende der Fristsetzung wird Klarheit herrschen“. Bis dahin hofft Bad Vilbel, dass „Fischer“ Lu nicht nur davon träumt, in Deutschland Fische zu fangen – sondern tatsächlich das Netz dafür hat.