Der große Wahlsonntag steht an! Auch wenn es nicht immer deutlich wird: Das sollte ein Höhepunkt in jeder Demokratie sein. Ich selbst bin vor wenigen Tagen aus Indien zurückgekommen. Indien ist sehr stolz auf seine funktionierende Demokratie: Seit der Unabhängigkeit vor über 60 Jahren ist dies ein wesentlicher Punkt des Zusammenhalts dieses unglaublichen Vielvölkerstaates mit seinen unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Sprachen… Und doch gibt es in Indien ein erschreckendes Ausmaß an Korruption und Misswirtschaft. Viele resignieren und sind sich sicher, daran ohnehin nichts ändern zu können. Trotz aller Wahlen.
Mein Eindruck ist, dass es vielen in unserem Land ähnlich geht: Sind nicht vielen Politikern eigene Macht und Reichtum wichtiger als das Allgemeinwohl? Gibt es nicht auch bei uns Korruption und Unregelmäßigkeiten? Sind nicht Bankvorstände und Wirtschaftsbosse viel mächtiger als gewählte Politiker? Und was ist mit den Lobbyverbänden und ihrem lautstarken Einsatz für ihre eigenen Interessen? Ja, alle diese Fragen – und weitere – sind berechtigt und wichtig. Aber genau deswegen ist es in Indien wie bei uns: Nur durch Politiker unseres Vertrauens kann manches Schlechte besser werden.
Und nein: Es sind nicht alle gleich. Die Rede von „den“ Politikern hilft nicht weiter. Aber schauen Sie wirklich genau hin: Wer vertritt die Allgemeinheit und nicht nur kleine Grüppchen? Wer erscheint uns glaubwürdig? Wer setzt sich gerade auch für die ein, die sonst wenig beachtet werden?
Ein Besuch in Indien relativiert dabei viele unserer Probleme. Das können wir lernen, wenn wir über den Tellerrand unseres Landes hinausschauen. Lernen aber können wir noch viel mehr: Über Fröhlichkeit und Lebensfreude trotz sehr viel schlechterer Lebensumstände. Über intensive und sehr besondere Spiritualität in unterschiedlichen Religionen. Von einem regelmäßigen christlichen Gottesdienst von 95 Prozent der Gemeindemitglieder – da würden unsere Kirchen aus allen Nähten platzen und wir müssten (dürften, könnten) mehrere Sonntagsgottesdienste hintereinander feiern!
In diesem Sinne: Gehen Sie am Sonntag wählen! Und kommen Sie doch vorher noch in den Gottesdienst! Herzliche Grüße – fast noch aus Indien!
Pfarrer Dr. Klaus Neumeier,
Ev. Christuskirchengemeinde
Bad Vilbel