Veröffentlicht am

Roman aus leidvollem Leben

„Schreie aus Tausendundeiner Nacht“ – mancher mag bei diesem Romantitel zunächst an Geschichten aus dem fernen Orient denken. Doch der von der Bad Vilbelerin Christine Dehler verfasste Roman spielt vor der Haustür: in Oberursel, Frankfurt, Bad Homburg. Nichts ist also mit Orient.

Bad Vilbel. „Mir geht es bei dem Titel eher um die Schreie als um die Tausendundeine Nacht“, erklärt Dehler. „Schreie hört Michaela auf all den Leidensstationen ihres Lebens schließlich genug.“ Michaela, die „tragische, aber innerlich bärenstarke“ Protagonistin des Romans, wird zeitlebens von ihrem Diabetes begleitet. Der Krankheit folgen andere Übel: Magersucht in Jugendjahren, das Gefühl, Außenseiterin zu sein, die spätere Selbsttötung des Vaters, eine erzwungene Abtreibung, unverschuldete Aufenthalte in der Psychiatrie. Auf 126 Seiten kommen schier unvorstellbare Schicksalsschläge zusammen. Wesentliche Handlungsstränge, vor allem die Diabetes und die Arbeit als Justizbeamtin fußen laut Dehler auf autobiografischen Inspirationen. „Trotzdem handelt es sich nicht um eine Autobiografie“, betont sie. „Es ist ein Psycho-Roman, in dem die Fiktion überwiegt.“

Das Leben der Protagonistin Michaela wurde von Dehler bis ins kleinste Detail ausgetüftelt. Von der Dosierung der Medikamente bis hin zum Gedenkspruch für den Vater. „Ich bin während der Arbeit mit Michaela verschmolzen“, erklärt Dehler. „Ich habe mich komplett in die Protagonistin hineingefühlt.“ Dies wird auch sprachlich deutlich. Stellenweise bekommt der Leser gar den Eindruck, das Tagebuch der Protagonistin zu lesen – so macht die Autorin als Michaela ihrem Ärger Luft: „Ihr Blutzucker war denen scheißegal!!!! Ein offener Fuß -aufgrund der desolaten Verwahrbedingungen- war denen ebenso scheißegal!!!“ Doppelte Satzzeichen, Umgangssprache und ein zeitweise hüpfender Perspektivwechsel von Protagonistin zu Autorin unterstreichen diese Empörung. Wer sich in Michaelas leidvolles Leben einfühlen will und es von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter – auch mit springenden, unerwarteten Szenenwechseln in der zweiten Romanhälfte – begleiten möchte, der ist bei Christine Dehler an der richtigen Adresse.

„Schreie aus Tausendundeiner Nacht“, Verlag Weimarer Schiller-Presse, 12,80 Euro, ISBN 978-3-8372-1261-7.