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Liebesschüre und Boxkämpfe: Wann ist ein Mann ein Mann – „Charleys Tante“: Bravouröse Festspielstart mit einer Dame, die gar keine ist

Mit tosendem Applaus und lauten Bravo-Rufen feierte das Publikum die Premiere von „Charleys Tante“, mit der das Abendprogramm der diesjährigen Burgfestspiele eröffnet wurden. Die durch den lauen und regenfreien Sommerabend bereits vorhandene gute Laune, wurde noch um ein Vielfaches gesteigert durch die schwungvolle Inszenierung von Regisseurin Adelheid Müther und die fröhliche Spiellust des Ensembles.

Bad Vilbel. Ein Mann in Frauenkleidern, zwei junge Schnösel aus dem englischen Hochadel, zwei ebenso schnöselige, später einmal zutreffend als „junge Gänse“ titulierte Jungfrauen, zwei liebestolle ältere Herren, ein zwar betrunkener, aber schlauer Butler sowie eine handfeste Witwe mit millionenschwerem Erbe und einem naiven Backfisch im Schlepptau. Das sind die Figuren der Komödie „Charleys Tante“, mit denen der englische Autor Brandon Thomas 1892 seinen Bühnen-Hit landete, der auch heute noch auf vielen Theatern der Erde immer wieder gespielt wird sowie auch immer wieder als Grundlage von Verfilmungen dient.

Bissig und frivol
Obwohl heute längst überholt, bleibt der Ausgangspunkt der Handlung auch bei der Bad Vilbeler Inszenierung beibehalten: Zwei Studenten suchen für ein Tête-à-tête mit ihren Auserwählten eine Anstandsdame, damit der Ruf nach außen hin gewahrt bleibt. Ein aus den „unteren Schichten“ stammender Mitstudent wird mit einer kleinen Erpressung dazu genötigt, die Rolle der verhinderten Tante aus Brasilien zu übernehmen. Bissige Anspielungen auf den Standesdünkel der snobistischen Adligen ziehen sich durch das ganze Stück. Sie kommen erst in der freien Bühnenbearbeitung von Arthur J. Newfield zum Tragen, die Regisseurin Adelheid Müther ihrer Arbeit zugrunde gelegt hat.

„Frauen“ unter sich

Dies ist mit ein Grund, dass trotz der antiquierten Grundsituation, die Bad Vilbeler Inszenierung keineswegs als altersschwaches Vehikel daherkommt, sondern sich vielmehr als flott und frech getunter Oldtimer erweist. Recht frivol und rasant nimmt die Handlung dann nach der Pause zusätzlichen Schwung auf. Wie es dazukommt, dass die jungen Damen aus guter Gesellschaft nach Zusammenkünften mit der falschen Tante mit verklärtem Blick „Das Leben ist schön“ kommentieren, bleibt mehr oder weniger diskret im Dunkeln. Auch das fast schon als Gelübde aufzufassende Versprechen „Frauensache bleibt Frauensache“ bleibt den Interpretationen der Zuschauer überlassen. Bei aller Wertschätzung der Traditionen und gesellschaftlichen Tugenden gilt das vieldeutige Motto „Aber das Leben muss sich auch entfalten“. Wie vom Regieteam und der Dramaturgie der Festspiele vorab versprochen, ist Bad Vilbels „Charleys Tante“ nun wirklich „kein Gartenlaubenscherz mehr, kein viktorianischer Studentenulk, sondern eine frivole, bissige Satire“.

Ein grandioser Butler

Ausstatterin Doris Engel hat für den ersten Teil des Stücks ein nobles Domizil für einen adligen Studenten einer Elite-Universität hingestellt. Bücher und Grammophon und Fotos nationaler Helden täuschen biedere Gediegenheit vor. Eine schnell zu tarnende Bar sowie ein ebenso fix zu versteckendes Bild mit frivoler Darstellung von Damen der einschlägigen Profession konterkarieren diesen Eindruck. Nach dem Umbau in der Pause ermöglichen eine Parklandschaft mit Pavillon im Zentrum viele Möglichkeiten für Verfolgungsjagden und „verschwiegene Verstecke“.

Till Frühwald hält als falsche Tante die Balance zwischen tapsiger Darstellung und geschickter Ausnutzung seines Charmes auf die Objekte seiner Begierde. Michael Klein (Jack) und Daniel Kuschewski (Charley) sind in ihrer Arroganz als junge Snobs derart überzeugend, dass Mitleid nicht aufkommt, wenn sie am Ende genau das bekommen, was sie nun wirklich nicht wollen: „Wir sind in der Falle“ raunen sie sich ohnmächtig zu. Dagegen sind dann die nicht mehr ganz so naiven Damen Anny und Kitty (Eva-Maria Kapser und Stephanie Marin) am Ziel ihrer – vermutlich nur vorläufigen – Wünsche. Resolut und unsentimental durchschaut Anette Daugardt als echte Witwe schnell die Verwirrspiele und befördert die falsche Tante zu einem richtigen Onkel. Zuvor muss Jennifer-Julia Caron als Nichte einige Backpfeifen einstecken.

Liebestolle Haudegen

Ulrich Cyran und Volker Weidlich glänzen als die in einem Liebeswahn erfassten älteren Herrschaften, die weder Box- noch Ringkampf scheuen. Herausragend gibt schließlich Wolfram Boelzle den Butler Brassett. Er beobachtet und kommentiert das Chaos mit Gelassenheit und gekonnt dezenter Komik, wird in seiner Trunkenheit dann aber doch durch eine Halluzination erschüttert.

„Charleys Tante“ steht in diesem Monat noch mit Vorstellungen vom 23. bis 25. Juni auf dem Spielplan sowie bei weiteren Terminen im Juli und August. Informationen unter www.kultur-bad-vilbel.de.