Im fernen Moskau eröffnete dieser Tage eine Ausstellung mit Koffern für die letzte Reise. Menschen aus ganz Russland – junge und alte, Künstler und Arbeiter – haben in einen Koffer gepackt, was sie gerne in den Tod mitnehmen würden. Spannende, anrührende und auch lustige Dinge kann man da sehen.
Ein Koffer ist voller Briefe, darunter auch der erste Liebesbrief, den eine heute 89-jährige Dame vor Jahrzehnten von ihrem späteren Mann bekommen hat. Ein anderer ist vollgestopft mit Büchern, in einem dritten sind Sudoku-Heftchen. Wer weiß, vielleicht wird’s langweilig nach dem Tod, dann ist es gut, ein bisschen Abwechslung zu haben.
Ein Mädchen hat hübsche Klamotten, Bonbons, Schmuck eingepackt, und ein Foto von sich und ihrem Bruder. Von einem jungen Mann stammen Pfeife und Tabak und der ironische Kommentar: Wenn ich erst tot bin, kann ich auch rauchen, ohne Angst vor den Folgen für die Gesundheit. Hoffentlich hat er die Streichhölzer nicht vergessen. Ziel der Ausstellung ist die Anregung, über den Tod nachzudenken und ihm etwas mehr Platz im Leben zu verschaffen. Denn der Tod hat bei uns – in Russland wie in Deutschland – nur noch wenig Raum. Er ist an den Rand gedrängt, über ihn denkt man nicht viel nach, und darum überfällt er uns mit Gewalt, wenn er denn einmal kommt. Schon zu Lebzeiten über das Ende nachzudenken, kann uns dagegen helfen, ein gelasseneres Verhältnis zu Tod und Sterben zu bekommen. Und mehr noch: In der Gestaltung der Koffer für die letzte Reise kommt zum Ausdruck, was für einen Menschen in seinem Leben wichtig ist. In keinem einzigen der Ausstellungsstücke konnte man übrigens berufliche Gegenstände sehen. Vielleicht ja deshalb, weil angesichts des Todes die Art unseres Broterwerbs keine Rolle mehr spielt. So ist es ja auch auf den Grabsteinen unserer Friedhöfe: Neben dem Namen finden sich die Eckdaten des Lebens und höchstens noch ein weiser und bisweilen frommer Spruch über das Leben und den Tod. Berufsbezeichnungen findet man äußerst selten. Denn das, was wir tagein, tagaus in den Mittelpunkt stellen, ist am Ende gar nicht das Wichtigste. Stattdessen sind es ganz oft die Beziehungen zu geliebten Menschen, die im Kofferinhalt zur Darstellung kommen. Durch Bilder, durch Briefe, durch ganz persönliche Erinnerungsstücke. Wahrscheinlich, weil sie als das wirklich Wichtige empfunden werden – im Leben und eben auch ein Stück weit darüber hinaus. Denn obwohl man ja eigentlich nichts mitnehmen kann in den Tod, wie ein altes Sprichwort sagt – die Beziehungen, von denen mancher Koffer symbolisch spricht, die gehen weiter, irgendwie.
Unter den Ausstellungsstücken hat mich am meisten berührt das Tagebuch einer jungen Russin, das sie in ihren Koffer legte. Seine Seiten sind noch weiß und leer. „Vielleicht geht es ja irgendwie weiter nach dem Tod“, meinte sie dazu, „und dann könnte man die Seiten füllen, in diesem neuen Leben.“
Pfarrer Ingo Schütz,
Ev. Christuskirchengemeinde