Es gibt Dinge, die bereut man sein Leben lang. Ich meine damit nicht nur den Haarschnitt von vor 10 Jahren oder das abgewürgte Gespräch mit dem Nachbarn (weil man es gerade wirklich nicht hören wollte). Ich meine auch nicht all die unverwirklichten Pläne, die man glaubt mit 18 Jahren gehabt zu haben. Aber vielleicht lässt es sich daran gut zeigen. Es empfiehlt sich hier übrigens unkonkret zu bleiben und von „der Jugend“ zu sprechen. Das trifft den Nagel dann ungefähr so präzise auf den Kopf, wie wenn man sagt, dass früher das Leben nicht so bedrohlich wirkte, als man eben noch nicht wusste, „was in der Welt vor sich geht“.
Das stimmt auch nicht. Mir ist es ein Rätsel, wann diese ominöse Zeit gewesen sein soll, im Leben eines Menschen, wo alles zu bewältigen und „noch“ gut war. Mit drei Jahren war ich sicher, dass Aleine-im-Dunkeln-schlafen das Ende der Welt sein würde. Mit fünfzehn war ich sicher, dass ich sterben würde, wenn jener Schwarm und ich nicht zusammenkämen. (Wenn sie übrigens mal Gründe suchen, Gott zu danken: überlegen Sie einfach still, in wen Sie alles so in Ihrem Leben verliebt gewesen sind, und um wessen ewige Liebe Sie Gott da vergebens gebeten haben. Das erdet.)
Die Krisen eines Erwachsenen und die Dinge, von denen wir mit zunehmendem Alter erfahren, dass sie leider Realität sind, sind mit denen eines jungen Menschen oder eines Kindes nicht zu vergleichen. Und zwar nicht, weil sie größer, schlimmer und gravierender sind, sondern weil der, der sie erlebt und bewertet, ein anderer ist. Mein Herz bricht heute wegen anderer Dinge, als vor fünfzehn Jahren, aber das nimmt das Gefühl von damals nicht weg. Es entwertet es nicht und rollt nicht die Augen mit einem halb gelachten: „Ach bitte…“. Denn das ist es, was wir gerne tun. Wir hören die Probleme eines anderen, die wir selbst als nicht so grässlich empfinden und bewerten das Erleben. „Du stellst dich an.“ Oder „Was ist denn da jetzt so schlimm dran?“ Ich erlebe mich selbst dabei, wie ich Geschichten von Menschen in meinen Kategorien bewerte. Aber hier drückt der Schuh nur nicht, weil er nicht meiner ist. Es ist nämlich völlig nebensächlich, ob ICH das, was geschehen ist, als Grund zur Wut oder zu Tränen empfinde: für den Menschen, der es so empfindet, ist es das. Und das ist alles, was ich wissen muss.
Es gibt Dinge, die bereut man sein Leben lang. Und das sind für mich die Momente, in denen ich belächelt, heruntergespielt und schöngeredet habe – Gott tut das nie, wenn ich mal (oder auch schon) wieder nach meinem Retter rufe. Sei es mit drei, fünfzehn oder dreißig Jahren. Er bleibt der Gleiche, der geduldige Hüter meines ganzen Herzens, der die Tränen trocknet, das Klagen anhört und meine Hände hält, bis die Welt sich wieder dreht.
Vikar Patrick Smith
Evangelische Christuskirche
Bad Vilbel