Freundlichkeit bestimmt nicht gerade das Klima des Miteinanders in unserer Gesellschaft. Im Gegenteil: Diese ist durch und durch auf Konkurrenz aufgebaut. Jeder will den anderen übertrumpfen, besser und schneller sein oder weiter vorankommen. Die eine will schöner, schlanker, toller sein als die andere. „Top-Modells“ stehen hoch im Kurs.
Und doch gibt es bei manchen, vielleicht auch vielen Menschen die Sehnsucht, dieser aggressiven Welt zu entkommen, die Sehnsucht nach einer freundlichen Welt, nach Harmonie und Akzeptanz. Viele haben es satt, sich durch Aggression beweisen und durchsetzen zu müssen.
Die aggressive Grundstimmung der Gesellschaft ist nichts Modernes. Schon Jesus lebte in einer Gesellschaft, die durch die militärisch abgesicherte Machtpolitik der Römer geprägt war. In diese Stimmung hinein sagt er in der Bergpredigt: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden. Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ (aus Matthäus 5). Jesus preist die Milden und Sanftmütigen, die Gewaltlosen und Freundlichen. Durch solches Reden hat Jesus die Welt verändert. Sie kann diese Worte nicht ungehört überspringen, sie stecken als Stachel in unserem Fleisch. Sie stacheln uns an, darüber nachzudenken, wie wir uns im Alltag verhalten und wo wir das eigene Tun und Lassen auch verändern sollten.
Gewalt richtet sich nicht nur nach außen: Viele Menschen wüten gegen sich selbst, wenden Gewalt gegen sich selbst an, bestrafen sich für Fehler selbst. Jesus dagegen lädt ein, dass ich mich selbst freundlich ansehe. Nur mit dem, was ich in mir freundlich anschaue, kann ich gut umgehen. Nur dann kann ich über einen eigenen Fehler lachen und versuche nicht, ihn zu vertuschen. Und dann bin ich innerlich entspannter und kann unverkrampft meine weiteren Aufgaben angehen.
Manche meinen, in der harten Arbeitswelt hätte die Milde keine Chance. Die Lebenserfahrung zeigt jedoch auch das Gegenteil. Wenn ich milde und freundlich bleibe, kann sich das am Arbeitsplatz positiv auf die Härte der Kollegen auswirken. Wer sich hinter der harten Fassade verschanzt, kann es ruhig tun. Aber ich gebe ihm keine Macht. Ich vertraue auf die Macht der Milde. Sie ist wie Wasser, das den harten Stein aufweicht. Das Sprichwort sagt: „Steter Tropfen höhlt den Stein.“
An mir selbst liegt es, dass ich mild bleibe und mich nicht verhärten lasse. Und wenn ich von einer solchen Haltung zu mir selbst und zu anderen abgekommen bin, dass ich dann wieder auf den Weg der Milde und Freundlichkeit einschwenke.
Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,
Ev. Heilig-Geist-Gemeinde
Bad Vilbel – Heilsberg