Erst schalteten die Konfis ab. Die etwas älteren Gottesdienstbesucher konnten der Predigt wohl noch folgen, aber sehr bald merkte der Prediger, dass einer nach dem anderen sich innerlich immer mehr entfernte. Es war wieder passiert: Er war in die „Sprache Palästinas“ abgedriftet. Hinterher empfand er die Kritik als durchaus berechtigt. Menschen, deren religiöse Sozialisation sich nicht innerhalb der Kirchenmauern vollzogen hat, haben ein Problem, „Gottesdienstsprache“ zu verstehen. Es ist oft ein Drahtseilakt, der da von Pfarrerinnen und Pfarrern veranstaltet wird, um Menschen mit jener Botschaft zu erreichen, die sie als tragfähige Lebensgrundlage erkannt haben, und die sie gerne weitergeben möchten. Das Scheitern, das in der Regel schon im Vollzug registriert wird, ist frustrierend.
Dem Apostel Paulus, der das Evangelium als einer der Ersten nach Europa gebracht hat, war diese Erfahrung nicht fremd. Wenn man seine Briefe und die darin thematisierten Schwierigkeiten, die seine Auftritte etwa in Korinth auslösten, aufmerksam liest, dann erfährt man, dass er als Prediger nicht durch brillante Rhetorik, auch nicht durch ein gewisses Charisma gewinnen konnte. Vielmehr kommt man zu der Schlussfolgerung: Wenn Paulus so sprach wie er schrieb, dann war die Kritik an seinen Auftritten nur allzu verständlich. Wenn es ihm laut Zeugnis des Neuen Testaments trotzdem gelungen ist, Menschen mit der Guten Nachricht von Jesus Christus zu erreichen, dann kann und will er das nicht sich selbst zuschreiben. Dann ist da kraft des Geistes aus Gott etwas gelungen, was nicht auf das Konto menschlicher Fähigkeiten und menschlicher Weisheit zu buchen ist. Ein Pfingstereignis. Da ist hinter der schockierenden Realität des Kreuzes, die das natürliche Auge sieht, die Wahrheit erfahrbar und sichtbar geworden, die menschliches Leben durch gute und durch schlechte Zeiten tragen kann.
Vom Geist aus Gott beschenkt und beflügelt, hat der „geistliche Mensch“ wie ihn Paulus versteht und bezeichnet, ein Gespür, eine Intuition für die Wahrheit, die sich hinter der Wirklichkeit des Lebens verbirgt. Auf unerklärliche Weise hat er Zugang zum Evangelium, zu zentralen Aussagen des Glaubens. Etwa zu der aktuellen Jahreslosung: „Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2.Kor.12,9). Und, das kommt hinzu, er ist in der Lage diese Wahrheit authentisch, glaubwürdig an andere zu vermitteln.
Zuweilen gelingt das Literaten und Liedermachern auf faszinierende Art und Weise. Der junge Familienvater erkrankte als 38-Jähriger an einer unheilbaren Krankheit. Die Ärzte gaben ihm maximal noch fünf Jahre. Er aber resignierte nicht. Vielmehr setzte die Krankheit ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten frei. Er begann zu schreiben, ein Spiel mit Sprache, Klanggedichte, Gedichte über seine Krankheit, sein Umfeld. In seinem letzten Lebensjahr in einem Hospiz konnte er nicht mehr sprechen, noch sich bewegen und wurde künstlich ernährt. Dass er bis zuletzt schreiben konnte – eine Mail erreichte mich zwei Tage vor seinem Tod- war ein Wunder modernster Technik: Er bediente den Computer mit den Augen, als Dicht(er) am Abgrund. Auf den doppelsinnigen Titel „Der letzte Schrei“ lautet die Antwort: „ALS, die todschicke Krankheit!“.
Dass seine Texte nicht Wehleidigkeit, sondern vielmehr Witz und spitze Pointen kennzeichnen, hat seine Leser tief angerührt. Genauso wie die Liebesgedichte an seine Frau und seine beiden Töchter. Ein solches beschließt seinen zweiten kleinen Gedichtband: „Die Kunst ist vollkommen für sich./Die Natur ist vollkommen in sich./Du bist vollkommen für mich./Ich liebe dich.“
Frohe und gesegnete Pfingstfeiertage für Sie und die Menschen, die Sie lieb haben.
Pfarrer Hans Karl Heinrich
Evangelische Kirchengemeinde
Bad Vilbel-Gronau