Ich traute meinen Augen nicht: Ein großes Banner hängt an der Außenwand der Frankfurter Katharinenkirche. Zu sehen ist eine durchbohrte, blutüberströmte Hand mit einem Victoryzeichen. Nur ein Wort ist über der V-Öffnung nach oben zu lesen: „opfer?“. Dahinter dieses dicke Fragezeichen.
Im ersten Moment wandte ich mich ab. Was soll das? Wird hier die Kreuzigung Jesu verhöhnt? Dann lese ich am unteren Rand www.karfreitag.de. Muss ich da im Internet nachsehen, was die Botschaft des Banners ist? Vielleicht sollte ich es wirklich tun. Und ich tat es.
Was ich zu lesen bekam, war und ist im wahrsten Sinne des Wortes erhellend: „Karfreitag: Gedanken zum Bild. Die Hand mit der Wunde erinnert an Jesus. Gottes Liebe war in Jesus. Opfer? Immer wieder werden Menschen zu Opfern. Jeder und jede kann sich selbst fragen: Bin ich gemeint? Gott steht auf der Seite der Opfer und fühlt das Leid.
Aber aus Schwäche kann Stärke werden. Der elende Tod Jesu am Kreuz an Karfreitag erinnert daran: Alles Leben ist von Schmerz, Leid und Tod bedroht. Gott begibt sich in die Tiefen des menschlichen Lebens hinein. In Jesus geht Gott in den Tod. Dann wird er auferweckt, und er verkündet, dass der Tod überwunden ist.
Am Karfreitag wird dieses Zentrum des christlichen Glaubens besonders deutlich. Er ist wie kein anderer Feiertag darauf ausgerichtet, Christi Leid und das Leben heute in Beziehung zu setzen. Der stille Karfreitag ist eine Chance für tiefgründige Gedanken über Leben und Tod.“ Noch ein Gedanke zum Mitnehmen: „Gott will nicht, dass Menschen einander zum Opfer machen. An Gott glauben heißt auch: an die heilende Macht der Liebe glauben.“ Das alles macht mich doch sehr nachdenklich. Und froh. Weil diese provokante Kampagne mit dem Bild der blutenden Hand zum tieferen Nachdenken über den Sinn der Feiertage von Karfreitag bis Ostermontag aufruft. In der Tat: „Feiertage unterbrechen den Alltag“ und bieten eine Chance inmitten unserer Hektik für tiefgründige Gedanken über Leben und Tod.
Ich wünsche uns in diesem Sinne gesegnete Feiertage. Die Arbeit darf ruhen. Sich Zeit nehmen für Gott und seinen Weg mit Jesus ist wahrlich keine vergeudete Zeit. Ganz im Gegenteil. Es vertieft unsere Menschlichkeit. Und das brauchen wir dringend: für uns und unser Miteinander in den Familien, am Arbeitsplatz und in allen gesellschaftlichen Belangen.
Matthias Gärtner, Pfarrer
Ev. Kirchengemeinde Dortelweil