Sonntag beginnt das Neue Jahr. Ganz frisch liegt es da, wie eine neue Seite im Tagebuch. Die alten Kalender an den Wänden sind abgehängt, die neuen warten noch auf Einträge. Doch manches steht auch schon drin, weil es fest steht. Die Geburtstage von letztem Jahr wiederholen sich am gleichen Datum, das Osterfest ist für den 8. April notiert. 2012 ist ein Schaltjahr. Auf europäischer Ebene soll es um „Aktives Altern“ gehen. In der evangelischen Kirche Deutschland wird 2012 das Jahr der Kirchenmusik sein. Gibt es eine Überschrift für mein Jahr, das vor mir liegt?
Ich glaube, das Jahr trägt viele Gesichter – aber es wird immer etwas mit meinem Gesicht zu tun haben. Die Frage ist, wer bin ich? Als wer werde ich mich durch die Zeit bewegen? Als Familienfrau, aufmerksam für die Daten der Familienmitglieder, für die Ferientermine, Geburtstage, Feiertage und Schlussverkaufswochen? Oder lebe ich mehr im Beruf, achte auf die Terminierung von Projekten, auf Stoßzeiten und denke von Wochenende zu Wochenende? Vielleicht liegt in dem Jahr auch etwas Unangenehmes vor mir, ein Datum, das ich fürchte: eine Gerichtsverhandlung, eine schwierige Prüfung oder ein Operationstermin? Kann es für all das eine Überschrift geben? In meinem Leben ereignet sich doch so vieles, ein ganz vielfältiges Jahr voller Ereignisse wird doch wieder vor mir liegen.
In der Kirche gibt es die Jahreslosung. Sie gibt dem neuen Jahr eine Überschrift, will unser Jahr wie ein roter Faden begleiten. Worte, die uns an Gottes Blick auf unser Leben erinnern, sei es das persönliche oder das öffentliche in Politik und Kirche. Die Jahreslosung für das Jahr 2012 heißt: Jesus Christus spricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 2, Vers 9).
Paulus war ein mutiger Mensch, auf seinem Weg lagen Gemeindegründungen, er baute ein Netzwerk von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf. Aber er gesteht auch ein, dass er manchmal schwach ist. Manches gelingt ihm nicht. Er kommt bei den Leuten nicht an. Wegen seines Glaubens sitzt er sogar im Gefängnis. Gegenüber der Gemeinde in Korinth verzichtet Paulus darauf, immer der Starke sein zu wollen. Er gesteht ein, dass manches ihn schwach erscheinen lässt. Und dass er trotzdem nicht aufgibt, sondern weiter macht. Denn er erfährt durch Gott neue Kraft. Mir gibt er die Botschaft weiter: Aus Gott kann ich immer neue Kraft schöpfen – in den Momenten, wo ich mich schwach fühle, wo ich nicht weiter weiß. Gott braucht nicht meine Schwäche, um mich mit Kraft erfüllen zu können. Ich bin beides: stark und schwach. Ich bin nicht nur die Schwache, und genauso bin ich nicht nur die Powerfrau. Ich brauche mich an kein Bild von mir selbst zu klammern, auch nicht im neuen Jahr. Neue Bilder können entstehen und wachsen, wenn wir uns von Gott verändern und neue Kraft schenken lassen. Den Mut dazu wünsche ich Ihnen und uns allen im neuen Jahr!
Pfarrerin Dr. Irene Dannemann,
Ev. Heilig-Geist-Gemeinde
Bad Vilbel–Heilsberg