In diesen Tagen staunen wir über den Mut der Menschen in Nordafrika, die für ihre Freiheit auf die Straße gehen. Noch ist nicht gesagt, wie der Kampf ausgeht. Noch können die Aufständischen niedergekämpft werden. Aber die Verzweiflung ist bei vielen so groß, dass sie die Gewalt der Machthaber weniger fürchten als sie die mögliche Freiheit herbei sehnen.
Wenn man als Europäer auf diese Länder blickt, wird das Geschenk der Freiheit neu bewusst, das wir haben. Als Christ wird man zudem daran erinnert, dass die Kirchen keineswegs immer auf der Seite der Freiheit standen. Oft genug hat sich die Institution Kirche als Unterdrückerin hervorgetan, hat die Menschen klein gehalten und ihre Ängste und Sehnsüchte für eigene Zwecke missbraucht. So wurde die Freiheit mancherorts gegen den Widerstand der Kirche durchgesetzt. Verfechter der Freiheit waren dabei aber auch kirchliche Würdenträger, so wie Martin Luther. Er hatte im Evangelium eine Freiheit gefunden, die ihm Mut gab, dem Papst und dem Kaiser die Stirn zu bieten. „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ So soll er dem Kaiser geantwortet haben, als der ihm drohte für den Fall, dass er seine Lehren nicht widerruft. Luthers Kampf für die persönliche Freiheit hat uns neu sehen lassen, dass das Evangelium von Jesus Christus von Anfang an eine befreiende Botschaft war: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Galater 5,1).
Heute wird bei uns die Freiheit vorausgesetzt. Sie ist ein Grundrecht, das niemand in Frage stellt. Zumindest juristisch. Nur, wie frei sind wir wirklich? Mein Eindruck ist: Viele Menschen leben heute noch in Abhängigkeiten und Zwängen, aus denen sie nicht herauskommen: Wie stark sind wir gezwungen, bestimmte Erwartungen zu erfüllen? Wie sehr können wir eigentlich aus den Rollen aussteigen, die wir übernommen haben? Manche Arbeitsverhältnisse erscheinen eher als Knechtschaftsverhältnisse. Ich habe Freunde, die sehr viel Geld verdienen und doch von der Freiheit träumen, ganz auszusteigen. Sie haben genug von dem Leben als Knechte.
Worin besteht nun die Freiheit des Evangeliums? Sie besagt, dass wahre Freiheit nur in der Bindung an Jesus Christus zu haben ist. Indem wir ihm gehören, können wir sonst niemandem ein Knecht sein. Ansprüche anderer Herren prallen an uns ab, denn wir sind bereits „vergeben“. Martin Luther hat es so formuliert: „Jeder Mensch ist irgendeines Herren Knecht. Die Frage ist nur: Wessen Knecht bin ich?“ Und Luther konnte sagen: „Wenn ich schon einen Herrn habe, dann doch den Herrn Jesus Christus. Er ist ein Herr, der liebt, der mir bedingungslos zugewandt ist und mir Gutes will. Ja, er ist die Liebe selbst.“ Er ist ein Herr, der mich nicht knechtet, sondern den Weg zu einem erfüllten Leben zeigen will. Wenn ich das glaube, löst das noch nicht das Problem mit meiner Arbeitsstelle. Aber vielleicht ist es ein erster Schritt in eine größere innere Freiheit, die irgendwann einmal äußere Konsequenzen nach sich zieht.
Ihr Pfarrer Jens Martin Sautter
Ev. Christuskirchengemeinde