Bad Vilbel. Bootsfahrer auf der renaturierten Nidda – dieser Anblick bietet sich auch in Bad Vilbel oft, etwa bei Gronau. Darin steckt Zündstoff – Tourismus und Naturschutz prallen aufeinander. Derzeit wird sogar über ein Paddelverbot nachgedacht. Der Deutsche Kanuverband führt in seinem „Flusswanderbuch für Deutschland“ die Nidda als Paddelfluss für Touren auf. Der Bootsverkehr dort nimmt zu. Auch, weil die renaturierten Flussabschnitte ein attraktives Outdoor-Feeling bieten. Das spricht sich rasch herum, besonders bei Kanuvermietern. Sie werben schon teilweise im Internet mit Kanufahrten auf der Nidda für Betriebsausflüge.
Kann das Gewässer diesen Freizeitdruck vertragen, ohne Schaden zu nehmen? Braucht es Regeln? „Gegen begründete ökologische Befahrensregeln haben wir nichts einzuwenden“, sagt Horst Delp, Geschäftsbereichsleiter Sportinfrastruktur beim Landessportbund Hessen (LSB). Der LSB habe in der Vergangenheit maßgeblich an Vereinbarungen zwischen Naturschutz und Kanusport auf hessischen Fließgewässern mitgearbeitet, besonders in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium und dem Hessischen Kanuverband innerhalb der Allianz Sport und Umwelt der Hessischen Landesregierung. Für Petra Schellhorn, im Kanuverband für den Freizeitsport zuständig, sind Befahrensregeln „immer dann ein Problem, wenn diese ohne Absprache mit den Kanufahrern“ getroffen würden. Der Verband habe in der Vergangenheit stets erfolgreich Naturschutzregelungen mit ausgearbeitet. Diese Regelungen seien als Flussinformation auf der Website des Kanuverbandes für alle Kanufahrer in Hessen einsehbar.
Die im Verband organisierten Paddler seien an diese Vereinbarungen strikt gebunden. Die Übungsleiter und Mitglieder würden für ökologisch sensible Fließgewässer ausgebildet, so Schellhorn. Ganz anders die kommerziellen Kanuverleiher.
Deren Kunden verfügten häufig nicht einmal über ausreichende Paddel- und Flusskenntnisse. „Das ist das eigentliche Problem“, kritisiert Schellhorn. Diese Gelegenheitspaddler zögen ohne gewässerökologische Sachkunde los. Jörg Schalles, Paddellehrer und Kanuverleiher in Frankfurt-Harheim, hat die Nidda in seinem Programm. Zwischen April und Oktober kommt er auf etwa 250 vermietete Kanufahrten. Der Bad Vilbeler Stadtteil Gronau ist seine Einsetzstelle. Für ihn ist die Nidda auch für ungeübte Paddler befahrbar. Eine Ausbildung für Paddler, wie sie in den organisierten Kanuvereinen üblich ist, könne er von seinen Kunden natürlich nicht verlangen. Gleichwohl spricht auch er sich für Befahrungsregeln aus. Oberhalb von Gronau ist für ihn das Befahren der Nidda „kein Thema“. Der Bad Vilbeler Gewässerökologe Gottfried Lehr hält Lenkungsmaßnahmen für notwendig. Es gehe nicht, betont er, dass die Natur als vermarktete Spaßkulisse für Freizeit-Events missbraucht werde. Dafür sei die Nidda-Renaturierung nicht erfolgt.
Lehr hat viele Flusskilometer in Planung und Ausführung gestaltet, zuletzt die Renaturierung in Gronau. Dort wurde 2009 auf einer Fläche von nahezu 50 Hektar ein dreieinhalb Kilometer langes Stück der Nidda mit großen Schleifen, breiten Laichzonen und Kiesbänken ausgebaggert. Außerdem wurden Retentionsflächen zum Hochwasserschutz geschaffen. Etwa 300 000 Kubikmeter Erde mussten bewegt und Dämme und Radwege neu errichtet werden. Eisvogel, Weißstörche und Kiebitze haben zwischenzeitlich ihren ständigen Lebensraum gefunden. Der seltene Flussregenpfeifer ist wieder anzutreffen. Im Herbst werde man sich zu ersten Gesprächen zusammensetzen, sagt Lehr, der „keine Spaßbremse“ sein möchte. Denn die Kinder, die heute auf der Nidda paddelten, so Lehr, „werden die Flusswächter von morgen sein“. Aber es dürfte deutlich werden, „dass die Nidda künftig ohne Regeln und ohne gemeinsame Vereinbarungen zwischen Naturschutz und Freizeitnutzern auf den renaturierten Flussabschnitten nicht mehr befahren werden“ könne.
In ein oder zwei Jahren werde die Artenvielfalt und Vegetation in Gronau sich verändern, so Ralf Eichelmann. Der Diplomagraringenieur der Friedberger Naturschutzbehörde und Vogelexperte der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie betreut seit vielen Jahren die renaturierten Flussabschnitte und Auen an der Nidda.