Karben. Der ambulante Pflegedienst der Stadt Karben ermöglicht Pflegebedürftigen ein Leben in den eigenen vier Wänden. Kranken Menschen zu helfen, ist ein körperlicher und psychischer Kraftakt, der nur mit viel Enthusiasmus und Idealismus funktioniert.
Es ist 5.30 Uhr früh. Helmut Kanneberger in Kloppenheim kann noch eine Weile im Bett liegen bleiben. Nicht so Astrid Rüger. Bei der examinierten Krankenschwester (46) beendet das Weckerklingeln die Nacht.
Sie frühstückt, führt den Hund aus und macht sich auf den Weg zum ambulanten städtischen Pflegedienst im alten Rathaus von Klein-Karben. Auf ihrem Tagesplan stehen die Besuche von zwölf Patienten, die alle unterschiedliche Pflegemaßnahmen benötigen. Insgesamt betreut sie bis zu 60 Kranke.
Helmut Kanneberger kann sich seit einem komplizierten Halsschenkel- und Schenkelbrüchen vor vier Jahren auch nach fünf Operationen nicht mehr alleine aus dem Bett erheben und waschen. Deshalb kommt Astrid Rüger jeden Morgen und hilft dem 82-Jährigen im Bad bei der Körperpflege und beim An- und Ausziehen.
„Mein Mann ist ein Kämpfer“, sagt Kannebergers Frau. „Aber ohne Pflege wäre er bös’ dran.“ Ist nach einer halben Stunde Astrid Rügers Arbeit getan, beginnt die Bürokratie. In eine persönliche Dokumentenmappe muss sie akribisch alle Pflegeleistungen eintragen, den Medikamentenplan kontrollieren und Veränderungen des Gesundheitszustandes vermerken.
Abgerechnet wird beim städtischen Pflegedienst nicht wie bei vielen anderen Diensten nach Zeitmodulen, sondern nach Leistung. Grundpflege, Mobilisation, Prophylaxe oder medikamentöse Überwachung – alle Maßnahmen haben einen festen Preis. „Egal, ob ich bei einem Patienten schnell fertig bin oder langsam, die Krankenkasse macht keinen individuellen Unterschied“, erklärt die Pflegerin. Manche Patienten aber brauchen den doppelten Zeitaufwand, denn alle sind in unterschiedlichen Verfassungen, und jedes Schicksal hat eigentlich seine eigene Zeitrechnung. „Es ist ein knallharter Job“, sagt Rüger. Sie macht ihn seit 30 Jahren und immer noch gerne. „Wenn der Idealismus weg ist, dann muss man aufhören.“
Bei Erika Biebricher wird sie schon erwartet. Ihr Mann Georg liegt im Wohnzimmer in seinem Pflegebett. Nach zwei Schlaganfällen kann er nicht mehr sitzen oder stehen, er muss gefüttert werden, seine verkrampften Finger sind abgepolstert. Er hat Pflegestufe drei und benötigt eine komplette große Körperpflege. Astrid Rüger begrüßt den 83-Jährigen. Sie spricht ihm gut zu, lacht ihn an und beginnt mit der Pflege. Ausziehen, waschen, drehen, aufrichten und hygienisch versorgen, alles erledigt Rüger in Ruhe und mit gekonnten Griffen. „Es sollte ohne Hektik ablaufen. Die Patienten merken sofort, wenn ich mal nervös bin.“
Schließlich legt sie eine subkutane Infusion (unter die Haut), weil der Kranke nicht trinken kann. Auch die Versorgung mit Flüssigkeit sei dem Pflegedienst vom medizinischen Dienst übertragen. „Bezahlt wird aber nur das Material, nicht die Versorgung“, so die Pflegerin. Wie viele andere Handgriffe, die sie nicht bezahlt bekommt. „Aber ich mache es, denn ich bin ein Mensch mit Gefühlen, wie meine Patienten auch.“ Astrid Rüger leistet Beistand, nimmt Kranke mal in den Arm, das gehöre zum Beruf, findet sie. Jeder Mensch sollte eine angemessene Behandlung bekommen. „Es kann sich doch nicht alles nur ums Geld drehen.“
So bringt sie eben den Pflegebedürftigen auch die Zeitung aus dem Briefkasten mit, kocht Kaffee und füttert die beiden Katzen von Irmgard Faida. Sie erhält zweimal täglich Pflege, seit sie im vergangenen Jahr an einer schmerzhaften Nervenlähmung erkrankt ist. „Ich freue mich jeden Tag auf die Pflegerin.“ Man entwickle mit der Zeit ein Vertrauen. „Leider bleibt nicht genügend Zeit bei den Besuchen.“
Astrid Rüger, die 20 Wochenstunden arbeitet, hat an diesem Tag noch acht Besuche vor sich. Sie hätte auch gerne mehr Spielraum für mehr persönliche Zuwendung und mehr Menschlichkeit. Auch die bürokratischen Abläufe würden immer komplizierter und aufwändiger. „Ich gönne keinem etwas Schlechtes“, sagt sie, wenn sie an die Debatte in der Karbener Politik über ihre Arbeit denkt. „Aber wer einmal drei Tage daniederliegt und von Hilfe abhängig ist, der weiß, wie es bei der Pflege zugeht.“