Karben. Hintergründig, ideenreich, abgedreht – einen Einblick in die zeitgenössische Kunst ihres Landes geben zehn Künstler aus China im Ausstellungsraum des Groß-Karbener Schlosses. Die Schau läuft noch bis Mitte November. Fern der Frankfurter Kunstszene ist sie auch Teil des Begleitprogramms zur Buchmesse.
Philipp von Leonhardi öffnet das große Holztor der Scheune. Dahinter folgt kein Stroh, keine Wagenhalle, sondern Kunst internationalen Rangs. Ni Jun hat ein Tor geschaffen, durch das die Besucher den Ausstellungsraum betreten: Die Form entspricht dem chinesischen Schriftzeichen für „Double Happiness“, doppeltes Glück.
„Double Happiness“ ist eine aktuelle Stilrichtung der zeitgenössischen Kunst in China. „Sie setzt sich ab gegen populäre Trends“, den Stil von Andy Warhol beispielsweise, erklärt Ausstellungsleiter von Leonhardi. Dagegen erinnern sich die Künstler der „Double Happiness“ alter chinesischer Werte. Das doppelte Glück ist ein solcher: „Das Ideal beschreibt den Zustand, wenn jemand berufliches und privates Glück in Einklang bringt“, erklärt von Leonhardi. Dieser Wert überlebte im Kommunismus wie im Kapitalismus.
Mit ihren Installationen und Videoclips, Fotografien und Gemälden schaffen die jungen Chinesen einen Spagat: Ihre Werke „sind erst mal völlig unpolitisch“, sagt der Ausstellungsleiter. „Aber es ist eine starke Transferleistung möglich.“
So wie bei Zhu Jias „Jumbo Jet“, der nie abhebt. Oder dem „Ampeltanz“ von Hu Xiangqian, bei dem zwei Männer mitten auf einer breiten Straße in rotem und grünem Kostüm gegeneinander kämpfen. „Ein Kunstwerk, das sich mit einer Ampel beschäftigt, kann die Zensur nicht einfach so verbieten“, erklärt Philipp von Leonhardi.
Mit Aktionen wie diesen schaffen sich die Künstler Freiräume. „Sie sind ausgesprochen erfindungsreich“, freut sich von Leonhardi. Subversiv wirkt der 23-Minuten-Film von Xu Zhen, in dem er mit zwei Freunden und Spielzeugpanzern einen Einmarsch in drei Nachbarländern plant und dann die Miniaturtruppe aufmarschieren lässt. Provokativ in einer selbst erfundenen Sprache schreibt Hu Xiangqian sein Tagebuch und entzieht sich somit jeder staatlichen Kontrolle.
Zhou Tao zeigt „nur“ morgendliche Appelle chinesischer Belegschaften. Das Leben, ganz unverfänglich. Doch gewährt er mit seinen drei Sekunden kurzen Sequenzen tiefe Einblicke in den Versuch der staatlich verordneten Gleichschaltung. Die Videokunst habe in China einen großen Vorteil: „Sie ist wenig vorbelastet“, sagt von Leonhardi. „Marx hat dazu eben keine Ideologie entwickelt.“
Kuratorin Felicia Herrschaft hat in Peking, Guangzhou und Shanghai Kontakt zu den Künstlern aufgenommen. Sechs der zehn haben sich die Schau in Karben selbst angeschaut. Den Kontakt brachte das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen in Gang, das Auswärtige Amt fördert die Ausstellung. (den)
Ausstellung „Double Happiness“ bis 15. November im Burghof Groß-Karben, Burg-Gräfenröder Straße 2. Geöffnet samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr sowie nach Vereinbarung unter Telefon (01 76) 62 00 68 67 und info@leonhardikulturprojekte.org per E-Mail.