Vor genau 20 Jahren machte das Parlament den Weg frei für das Baugebiet Dortelweil-West. Die Stadtwerke bauten 13 000 Wohneinheiten mit dem erklärten sozialen Ziel, jungen Familien zum Eigenheim zu verhelfen. Im Gegensatz zum alten Ortsteil gibt es regen Wandel – weiterhin kommen viele kinderreiche Zuzügler.
Bad Vilbel. Die alte Dortelweiler Grundschule platzte Anfang der 1990er Jahre aus allen Nähten, erinnert sich die frühere Schulleiterin Hanne Mühle. Selbst im Keller und Alten Rathaus wurde unterrichtet. Die Heizungs-Handwerker waren schon bestellt, „da wurden auf einmal alle Projekte gestoppt“. Es sollte ein neues Baugebiet entstehen. Die Regenbogenschule entstand als erstes Gebäude, wo zuvor Zuckerrüben- und Weizengerste-Äcker lagen. Im Januar 1997 war Richtfest auf weiter Flur, nebenan gab es nur die Kita Trauminsel. Pünktlich zum Schuljahr 1997 / 98 wurde das neue Schulgebäude fertig, startete mit nur fünf Klassen. Knapp hundert Kinder gingen weiter auf die „alte“ Schule in der Bahnhofsstraße. Die Ausstattung der neuen „war vom Feinsten“, erinnert sich Hanne Mühle. Drumherum eine einzige Matschlandschaft. Schon nach einem Jahr wurde der Schulbau zu klein, es musste erweitert werden.
Der Kindersegen war gewollt, soziale Vorgabe der Stadt. „Früher hätte sich niemand mit 30 Jahren und zwei Kindern ein Haus leisten können“, betont Mühle: „Da hat Klaus Minkel etwas Großartiges gemacht“, lobt sie den früheren Baudezernenten und Stadtwerke-Chef. Pro Kind seien 50 Mark je Quadratmeter erlassen worden: „Das machte 30 000 Mark beim kleinsten Haus.“ In jedem gab es ein bis sechs Kinder.
Bezahlbares Wohnen
In kurzer Zeit entstand die Infrastruktur: Kindergärten, Turnhalle, Brunnencenter. Auch im Rückblick nach 20 Jahren zeige sich die „gute Vision“ von damals. Zwar gebe es in Dortelweil-West eine sehr große Fluktuation – wegen wechselnder Lebensverhältnisse, wie beruflichen Umzügen. Sie erinnert an den früheren Bauminister Klaus Töpfer (CDU), der in Dortelweil-West dafür plädierte, Häuser für verschiedene Lebensphasen zu bauen: für Elternzeit, für das Alter. Manche sind auch umgezogen, weil die Häuser zu klein geworden seien. Die stark verdichtete Bauweise, von manchen als „Kaninchenställe“ verspottet, war indes „vom Land Hessen vorgegeben“, erläutert Klaus Minkel, der Vater von Dortelweil-West. Wegen des Zuzugsdrucks nach dem Mauerfall forderten die Regionalplaner, 45 Wohneinheiten pro Hektar unterzubringen. Die Idee zum Baugebiet kam ihm 1992 auf der Dortelweiler Kerb, erinnert er sich. Ein Kerbebursch habe ihm unter Tränen geklagt, er könne seit fünf Jahren nicht heiraten, da er keine bezahlbare Wohnung finde.
Noch in jenem Jahr votierte die Bad Vilbeler Union für das Projekt, 1993 und 1994 wurden die Grundstücke von etwa 30 Eignern zusammengekauft. Die Stadtwerke bauten 900 Häuser und Wohnungen mit 1300 Wohneinheiten. Das Gesamtprojekt kalkulierte die Stadt mit 153 Millionen Mark. Am 11. Oktober 1994 beschloss das Stadtparlament den Bau.
„Damals war die Wohnungsnot noch größer als heute“, sagt Minkel. Zudem sei Eile geboten gewesen: „Ein Bauträger wollte das Gelände schon übernehmen, aber nicht mit den günstigen Preisen.“ Da hat Klaus Minkel kurzen Prozess gemacht und die Stadtwerke an die Baufront geschickt.
Auch der frühere Ortsvorsteher Gerhard Manasek sieht „Do-West“ als Erfolgsgeschichte, aber „das Zusammenwachsen mit dem alten Stadtteil ist noch auf dem Weg.“
Nach Dortelweil-West seien Menschen gekommen, „deren Biografien und Lebenshintergründe nicht vergleichbar sind mit den Traditionen der Alteingesessenen im noch dörflichen Dortelweil“, sagt der frühere Dortelweiler Ortsbeirat Kurt Sänger (Grüne). „Modernität und altbackener Konservativismus schließen sich hier als Parallelgesellschaften mittlerweile aus“.
„Wir sind hierher gekommen, unsere Kinder sind hier erwachsen geworden, das ist jetzt unsere Heimat“, sagt Michael Wolf, der 1998 in der Mozartstraße gebaut hat und die Betreuung an der Regenbogenschule mitorganisierte. Damals habe er den Lärm und den Dreck des Baugebiets in Kauf genommen, in der Region habe es sonst nirgends bezahlbare Häuser und schon gar keine so kinderfreundliche Familienkomponente gegeben, wie in Bad Vilbel. Die gemeinsame Aufbaustimmung habe die Nachbarn auch zusammengebracht. Bestes Beispiel sei das Straßenfest im Bussardweg.