Bad Vilbel (cka). Das Wahlverhalten der jungen Generation hat sich verändert. Hatte sie in der Geschichte der Bundesrepublik bisher eher links-fortschrittlich gewählt, so entschieden sich bei der Europawahl und den jüngsten Landtagswahlen überproportional viele Erst- und Jungwähler, vor allem junge Männer, für rechtsextreme Parteien.
Das sei auch für die Jugendforschung überraschend gewesen, wie der emeritierte Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Benno Hafeneger in seinem Vortrag »Rechtsextremismus und Jugend« im Saal der Christuskirche darlegte. Er forscht und publiziert an der Marburger Universität zu Jugendfragen, rechtem Extremismus sowie rechtsextremen Parteien und war auf Einladung der »Omas gegen rechts« und der Initiative »Nachhaltig Nachbar*in« in Bad Vilbel. Diese zeigten sich recht zufrieden, dass rund sechzig BesucherInnen gekommen waren und nach dem Vortrag eifrig Fragen stellten und mitdiskutierten.
Mehrheit findet
Demokratie gut
Benno Hafeneger gab zunächst einen Überblick über die Befindlichkeiten und Einstellungen junger Leute. Laut neuesten Studien herrsche bei ihnen Unsicherheit über die gesellschaftliche Entwicklung, ihr Vertrauen in Politik und Parteien sowie deren Lösungskompetenz habe nachgelassen; Polizei und Justiz genießen aber eine hohe Glaubwürdigkeit, die große Mehrheit findet die Demokratie als Staatsform gut und blickt zuversichtlich in die Zukunft.
Doch was bewegt junge Leute, rechtsextrem zu wählen? Diese Frage beschäftigt viele Menschen – auch in Bad Vilbel, wie der hohe Zuspruch zur Veranstaltung zeigte. Die Motive dafür seien vielfältig, so der Jugendforscher. Da sei zunächst die Corona-Pandemie. »Wir sind nicht gefragt worden«, sei der bleibende Eindruck, obwohl die Jugend stark von den Maßnahmen betroffen gewesen sei. Das habe zum Vertrauensverlust in die Politik geführt. Doch auch die Prägung durch das persönliche Umfeld spiele eine Rolle, genauso wie der digitale Raum, in dem die AfD »am cleversten« agiere und führend sei. Auch sei die AfD für viele, insbesondere im Osten, zu einer »normalen« Partei geworden, die auch die weiteren Motive bediene, das autoritäre Denken oder den Protest gegen »die da oben«.
Im zweiten Teil seines Vortrags beleuchtete Benno Hafeneger das Auftreten der AfD in Parlamenten. Deren Grundthemen seien an erster Stelle die Migration, dann folgten Gendern und Klima – immer mit dem wertenden Zusatz »-wahn« – und schließlich die Jugend. Eine Studie zu AfD-Anträgen in den Bereichen Jugend und Schule zeige, dass ihr Ziel sei, Inklusion abzuschaffen und Eliten zu fördern, und zwar mit einem autoritären viergliedrigen Schulsystem mit Sanktionen gegen Nicht-Angepasste.
Hinsichtlich Jugendverbänden, Jugendkultur und Demokratieförderung hinterfrage die AfD alles, was sie als links ansehe – mit dem Ziel, die Förderungen einzuschränken.
Tunnel unter
der »Brandmauer«
Die Anfragestrategien, mal subtil, mal aggressiv und ständig wiederholend, seien für die anderen Parteien ermüdend und sogar einschüchternd. Angesichts dessen müsse die Frage gestellt werden: »Hält die Brandmauer?«, so Benno Hafeneger. »Es gibt darunter schon viele Tunnel«, befand ein Zuhörer.
Das Jugendbild, das die AfD mit ihrem Auftreten in Parlamenten, aber auch im Internet und in sozialen Netzwerken verfolge, sei nicht divers und bunt, sondern homogen. Die männlich dominierte Gesellschaft sehe sie als den »natürlichen Urzustand«, fasste Benno Hafeneger zusammen.
Zivilcourage
und Haltung zeigen
»Was müssen und können wir als Gesellschaft dagegen tun?«, lautete die Frage zur abschließenden Diskussionsrunde. Die Antworten: informieren, Geld in die Hand nehmen, Demokratie an Schulen stärken. Und nicht zuletzt: Zivilcourage zeigen als Einzelne sowie Haltung zeigen als Zivilgesellschaft.
Der Vortrag und die Diskussionsrunden waren eine Veranstaltung der Wetterauer »Omas gegen rechts« und »Nachhaltig Nachbar*in« in Kooperation mit dem Flüchtlingshilfeverein und den Naturfreunden im Rahmen der Initiative »Bad Vilbel steht auf für Demokratie und Vielfalt«, gefördert vom Wetteraukreis aus dem Programm »Demokratie leben!« des Bundesfamilienministeriums und kofinanziert vom Land Hessen.