Bad Vilbel. Dem Internet sei Dank. Trotz aller Kritik verbreiten sich durch einen Klick viele gute Ideen weltweit. Ohne das World Wide Web wäre die Wahrscheinlichkeit, dass Kindergartenleiterinnen und -leiter in Südkorea jemals etwas über die Existenz und das Konzept des Streuobstwiesen- und Waldkindergartens Kirschberg in Bad Vilbel erfahren hätten, minimal gewesen. Doch so entdeckten Mitglieder der National Forest Kindergarten Association of Korea bei ihrer Recherche die Website des ersten hessischen Streuobstwiesen- und Waldkindergartens. In Südkorea gibt es zwar bereit mehr als 2000 Waldkindergärten und Spielplätze, doch keine Streuobstwiesen-Kitas. Neugierig geworden, nutzte eine kleine Delegation ihre Deutschlandreise im vergangenen Herbst für einen Abstecher nach Bad Vilbel. Fünf Besucher informierten sich bei Leiterin Tanja Tahmassebi-Hack über das Konzept. Das hatte Folgen. So stoppten jetzt nach einem zwölfstündigen Flug zwei große Reisebusse vor dem Kirschberg-Kindergarten-Gelände.
Kooperationsvertrag
mit der Stadt
Das Kindergärtnerinnen-Team und eine Gruppe von Kindern begrüßten nun gleich mehr als 70 Besucherinnen und Besucher aus dem ostasiatischen Staat. Bei der Gruppe handelte es sich um Kindergartenleitungen aus allen Teilen Südkoreas samt Dolmetscher und Begleitungen. Die Gruppe interessierte sich vor allem für das »Streuobst«-Konzept des Kindergartens Kirschberg. Tanja Tahmassebi-Hack informierte, dass die Trägerschaft und Finanzierung des Kindergartens der Verein Streuobstzentrum Kirschberghütte innehat und zudem einen Kooperationsvertrag mit der Stadt Bad Vilbel besteht. Alle fünf Erzieherinnen haben eine spezielle Zusatzqualifikation in Streuobst- und Waldpädagogik. Eine kleine Gruppe mit maximal 20 Kindern ab drei Jahren werden von zwei bis drei Kindergärtenrinnen intensiv pädagogisch betreut. Die Gruppen sind das ganze Jahr über im Freien. Tagsüber sind die Kinder nach dem Morgenkreis bis zum Mittagessen mit anschließendem Abschlusskreis im Wald oder den Streuobstwiesen unterwegs oder verbringen den Tag auf dem jeweiligen Grundstück. Alle Plätze sind unterschiedlich. Sie bieten den Kindern Möglichkeiten, regen die Fantasie an und laden zum freien Spielen, Erkunden, Forschen und Entdecken ein. Durch das Fehlen konventionellen Spielzeugs wird die Kreativität und körperliche Bewegung angeregt. Gefördert werden so Grob- und Feinmotorik, Koordination, taktile Wahrnehmung und Tiefensensibilität. Die Kinder erfahren die Natur unmittelbar. Wald wie auch Streuobstwiesen ermöglichen hautnahes Erleben von Naturkräften und -zyklen, fördern Beobachten, ermöglichen die Begegnung mit Pflanzen und Tieren. Geschult werden Sinneswahrnehmung, Kreativität und Konzentrationsfähigkeit.
Viele Ausflüge
und Exkursionen
»Unsere Kinder lernen den selbstverständlichen, nachhaltigen und respektvollen Umgang mit der Natur und den uns zu Verfügung stehenden Ressourcen. Wir unterstützen durch die besondere Nähe zur Natur die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, vermitteln Normen, Werte und Bildung.« Ergänzt wird das freie Spielen durch Ausflüge, Exkursionen zu Handwerksbetrieben und Thementage wie »Äpfel pflücken und Apfelsaft pressen«. Wie das mit Hilfe einer Handkelter passiert, zeigte Tanja Tahmassebi-Hack ihren Gästen.
Die Kinder lernen spielerisch das Leben auf einer Streuobstwiese kennen, erfahren warum Vögel ein wichtiger Bestandteil des Lebensraumes sind und welche wichtige Rolle sie bei der Schädlingsbekämpfung spielen. Die Gäste fragten nach, ob die Kinder tatsächlich bei jedem Wetter im Freien sind und welche Toilette genutzt werde. Die Antwort: »Wir sind fast bei jedem Wetter in der freien Natur unterwegs. Bei Regen suchen wir uns einen Platz mit Pausenhütte und dichtem Baumwuchs aus. Bei stürmischem Wetter verbringen wir den Tag auf den Streuobstwiesen und in der Kirschberghütte. Bei Gewitter bietet unser mit einem Blitzableiter gesicherter Bauwagen Schutz. Und bei Kälte setzen wir auf gute Kleidung und Bewegung.« Die Gruppen nutzen ein Kompost-WC.
All das und natürlich die Streuobstwiese nahmen die Gäste in Augenschein, bevor sie koreanischen Tee überreichten und ein Erinnerungsfoto machten. Tanja Tahmassebi-Hack wurde eingeladen, im nächsten Jahr nach Südkorea zu kommen und als Referentin an einem Kongress teilzunehmen.
Von Christine Fauerbach
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