Bad Vilbel. Was passiert, wenn sich im Baugebiet »Im Schleid« in Bad Vilbel ein gigantisches Möbelhaus mit großflächigem Nebensortiment ansiedelt? Müssen dann in der Nähe liegende Möbelhäuser und Küchenstudios aufgeben, und sind andere Einzelhändler in der Region betroffen? Diese und weitere damit zusammenhängende Fragen werden in der seit mittlerweile zwölf Jahren andauernden juristischen Auseinandersetzung eher nebenbei gestellt. Dennoch sind sie der Kern der Auseinandersetzung zwischen der Stadt Bad Homburg und dem Land Hessen bzw. der Stadt Bad Vilbel.
Denn die Kurstadt im Taunus befürchtet ein Ladensterben und Auswirkungen auf ihre städtebauliche Infrastruktur, sollte sich die Firma Segmüller in Bad Vilbel ansiedeln.
Am 22. März trafen sich die juristischen Kontrahenten vor der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Gießen. Klägerin ist die Stadt Bad Homburg, die gegen einen sogenannten Zielabweichungsbescheid vom Regionalplan der Regionalversammlung vorgeht. In dem von den 99 Verbandskommunen verabschiedeten Plan werden die verschiedenen Nutzungen der Flächen festgelegt, etwa ob dort Wohnen, Freizeit oder Gewerbe zulässig sein sollen. Für den »Schleid« bedeutet das, dass es für das umstrittene Gebiet erlaubt wäre, statt normalem industriellem Gewerbe einen großflächigen Einzelhandel, wie eben ein Möbelgeschäft, anzusiedeln.
Beklagte ist aber nur indirekt die Stadt Bad Vilbel, sondern direkt das Land Hessen, das in Gestalt des Regierungspräsidiums Darmstadt die Zielabweichung genehmigt hat. Beigeladen war auch Bad Vilbel, das durch Bürgermeister Sebastian Wysocki vertreten wurde.
Richter: Bad Homburg gar nicht klagebefugt
Der konnte nach der Mittagspause, zurück im Rathaus, erfreut zur Kenntnis nehmen, dass die Stadt Bad Homburg mit ihrer Klage gescheitert ist. Juristisch bedeutet das: Das Gießener Verwaltungsgericht hat keine Bedenken gegen die Genehmigung der Zielabweichung vom Regionalen Raumordnungsplan 2010. Es urteilte: Die Stadt Bad Homburg sei nicht klagebefugt und die Klage sei unzulässig. Die klagende Stadt könne als Nichtadressatin des angegriffenen Bescheides keine Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte geltend machen, so die Gießener Richter.
Nach Ansicht der Kammer dienen die verbindlichen Ziele des Regionalplans Südhessen 2010, von deren Einhaltung die Stadt Bad Vilbel befreit wurde, ausschließlich öffentlichen Interessen bzw. den Interessen der jeweiligen Standortkommune, jedoch nicht den Interessen von anderen Kommunen der Planungsregion.
Soweit die Klägerin geltend macht, sie werde in ihrem zentralen Versorgungsbereich beeinträchtigt, könne sie diesen Einwand nur im Rahmen der noch zu erfolgenden Bauleitplanung oder im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens gegen den noch zu ändernden Bebauungsplan der Stadt Bad Vilbel geltend machen.
Darüber hinaus vertritt die Kammer die Auffassung, dass der Zielabweichungsbescheid des RP rechtmäßig ergangen sei.
Der Anwalt der Stadt Bad Homburg, Prof. Dr. Olaf Bischoping, hat in der mündlichen Verhandlung dagegen argumentiert, eine Zielabweichung vom kurz zuvor beschlossenen Regionalplan sei doch nur dann zulässig, wenn dadurch die planungsrechtliche Hoheit der Nachbarkommunen nicht verletzt werde. Aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehe doch hervor, dass es auch einen sogenannten Drittschutz gebe. Zudem habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg geurteilt, in einem ähnlich gelagerten Fall sei das Konkurrenzgebot verletzt worden.
Der Anwalt der Stadt Bad Homburg unterstellte sogar, dass bei der finalen Abstimmung über den Regionalplan im Jahr 2010 die Absicht der Firma Segmüller bereits bekannt gewesen sei. »Eventuell hat sogar die Stadt Bad Vilbel selbst angeregt, dass sie das Gebiet anders ausweisen wolle, als im Regionalplan dargestellt.«
Ein Dorn im Auge ist den Bad Homburgern ebenso, dass der Regionalplan ein sogenannten Nebensortiment von maximal 800 Quadratmetern vorsehe; in der Zielabweichungsgenehmigung aber weitere 800 Quadratmeter für Lampen und Leuchten vorgesehen seien. Die »ausstrahlende Fernwirkung« der Segmüller-Ansiedlung bedeute einen Kaufkraftverlust für Bad Homburger Geschäfte von zehn Prozent, habe eine von der Stadt in Auftrag gegebene Studie herausgefunden.
Berufung zugelassen
Die Kammer hat die Berufung gegen diese Entscheidung zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Beteiligten können daher binnen eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Entscheidungsgründe die Berufung beim VG in Kassel einlegen. (pe)