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Die Stadt verklagt das Land

Aufgrund seiner Vielzahl an Einrichtungen mit überörtlicher Bedeutung möchte Karben als Mittelzentrum eingestuft werden. Archivfoto: Pfeiffer-GoldmannStadtzentrum
Aufgrund seiner Vielzahl an Einrichtungen mit überörtlicher Bedeutung möchte Karben als Mittelzentrum eingestuft werden. Archivfoto: Pfeiffer-GoldmannStadtzentrum

Karben. Die Stadt macht ernst: Karben wird gegen das Land Hessen wegen der Nichteinstufung als Mittelzentrum klagen. Die entsprechende Vorlage wird den Stadtverordneten zur nächsten Sitzungsrunde vorgelegt. Darin wird auf die Stellungnahme der Stadt zum Landesentwicklungsplan verwiesen, in der es an Kritik nur so hagelt.
Im Landesentwicklungsplan (LEP) sind Kriterien festgelegt, welche Anforderungen Kommunen erfüllen müssen, die als Mittelzentrum eingestuft werden wollen und damit Zuschüsse vom Land erhalten. In einem Mittelzentrum gibt es Einrichtungen von überörtlicher Bedeutung, und es muss eine Stadtmitte existieren. So will der LEP beispielsweise, dass im zentralen Ortsteil 7000 Menschen wohnen. Die Stadt Karben bezeichnet die Stadtmitte mit Groß- und Klein-Karben sowie Kloppenheim als Zentrum. Dessen Einwohnerzahl liegt doppelt so hoch wie vorgesehen.
Höherstufung
brächte Millionen

Die Stadt sei der viertgrößte Arbeitgeber im Kreis und verfüge mit Bad Nauheim über die höchste Arbeitsplatzdichte. Die Kurt-Schumacher-Schule habe ebenso überörtliche Bedeutung wie das Hallenfreizeitbad und der öffentliche Nahverkehr. Zurzeit ist Karben als Unterzentrum eingruppiert, wo es laut Kriterien der Landesregierung Einrichtungen gibt, die nur von den Bürgern der eigenen Stadt genutzt werden.
Genau gegen diese Einstufung wehrt sich nun die Stadt mit einer Normenkontrollklage. Sie möchte höher eingestuft werden, was auch mehr Geld vom Land Hessen bedeutet. Zwei bis drei Millionen Euro zusätzlich könnten aus der Landes- in die Stadtkasse fließen, würde das Land die überörtliche Funktion Karbens anerkennen, hat Bürgermeister Guido Rahn (CDU) ausgerechnet. Aber genau darum geht es: Das Land Hessen erkennt die überörtliche Funktion Karbens für das Umland eben nicht an. Der städtische Jurist Ernst Heuer hat sich intensiv mit dem Landesentwicklungsplan beschäftigt und die Hanauer Anwaltkanzlei Eiding gefunden, die die Stadt Karben juristisch vor Gericht gegen das Land vertreten wird.
In der Vorlage an die Stadtverordneten bezieht sich Heuer auf die Stellungnahme der Stadt vom Mai/Juni 2020 zum LEP 2000. Als Fazit sei dort festgehalten, dass bereits bei der Aufstellung des LEP vor 20 Jahren das Land Hessen die Stadt Karben als »zentralörtlichen Grenzfall« eingestuft habe. Aufgrund seiner dynamischen Weiterentwicklungen habe er die Grenze der Zentralörtlichkeit »…längst überschritten«. Im Detail werden Einwohner- und Beschäftigtenzahl, Einzelhandelsentwicklung im zentralen Ortsteil, die Baugebietausweisungen und der Ausbau der infrastrukturellen Einrichtungen genannt.
In der Stellungnahme der Stadt zum LEP hagelt es förmlich Kritik. So seien im LEP die aufgelisteten Zentralitätskritierien und mittelzentralen Versorgungseinrichtungen nicht umfassend berücksichtigt worden. So habe sich die Arbeitsplatzdichte von 329 Arbeitsplätzen je 1000 Einwohner per 31. Dezember 2012 auf 344 Arbeitsplätze je 1000 zum 30. Juni 2018 erhöht.
Im LEP werde auch eine falsche Einwohnerprognose gestellt. Die Hessen Agentur habe bis zum Jahr 2035 genau 22 000 Einwohner für Karben berechnet. Tatsächlich habe die Stadt schon für Dezember 2018 genau 22 718 Einwohnerinnen und Einwohner gemeldet. Von 2011 bis 2018 habe Karben jährlich rund 4,4 Prozent an Einwohnern hinzugewonnen. Die Stadt verweist auf die Neubaugebiete, in denen sich überwiegend junge Familien ansiedeln, die die Entwicklung der Einwohnerzahlen positiv beeinflussen. Schon allein im zentralen Ortsteil habe die Einwohnerzahl bei 15 850 gelegen, also doppelt so hoch, wie vom Land gefordert.
Verstoß gegen Gebot der Gleichbehandlung
Gemäß dem LEP soll Karben zum Mittelbereich des Mittelzentrums Bad Vilbel gehören. Detailliert legt die Stadt dar, dass Bad Vilbel einen erheblichen Auspendlerüberschuss aufweist, Karben dagegen einen deutlich geringeren, »was die Zentralitätswirkung der Stadt Karben und deren vergleichsweise stärkere Sogwirkung für das Umland deutlich macht«.
Auch in Sachen Schulstandort übe Karben eine erheblich höhere Anziehungswirkung auf Bad Vilbels Schülerinnen und Schüler aus als umgekehrt.
Die Stadt Karben sieht sich auch in einer Art Entlastungsfunktion für die Metropole Frankfurt. Der Verflechtungsbereich ins Umland werde sich noch verstärken, weil die Stadt Karben nach wie vor eigene beträchtliche Entwicklungspotenziale im zentralen Ortsteil aufweise. Etwa im Bereich der Siedlungstätigkeit (Neubaugebiet Brunnenquartier), der wirtschaftlichen Infrastruktur und des vielfältigen Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzangebotes. Verwiesen wird auch auf den Ausbau der Main-Weser-Bahn, die zu einer erheblichen Attraktivitäts- und Zentralitätssteigerung der Stadt Karben an ihren beiden Haltepunkten führen wird. In einer ergänzenden Stellungnahme zum LEP wird zudem auf das ÖPNV-Angebot verwiesen mit einer regionalen Schnellbuslinie, fünf weiteren Buslinien und der S6. Aber auch mit 350 P+R-Plätzen sowie 450 Fahrradabstellanlagen und -boxen, den Regionalparkrouten und den Radwegeverbindungen in die Nachbarstädte.
Aus diesen und weiteren Details schlussfolgert die Stadt, das Land habe das kommunale Gleichbehandlungsgebot verletzt. Für die Stadt wirke sich die Nichteinstufung als Mittelzentrum im Blick auf Planungshoheit und Stadtentwicklung und auch beim kommunalen Finanzausgleich negativ aus. »Daher ist die Ansetzung eines Normenkontrollverfahrens geboten«, so die Vorlage ans Parlament, über die am Freitag, 23. September, im Bürgerzentrum abgestimmt wird. Die Klagevertretung durch die Hanauer Kanzlei wird mit 29 000 Euro brutto zu Buche schlagen.
Von Holger Pegelow