»Das Abschiedsdinner« im Theaterkeller hält Gesellschaft den Spiegel vor
Bad Vilbel. Das Bühnenbild von Dorothea Mines im Theaterkeller der Burg deutet die Schieflage bereits optisch an, die große grüne Couch erinnert auf Anhieb an langwierige therapeutische Sitzungen. Und tatsächlich geht es bei der Premiere der Komödie »Das Abschiedsdinner« bei den Burgfestspielen sofort ans seelische und soziale Eingemachte: Pierre Lecoeur (Martin Bringmann) und Clotilde Lecoeur (Svenja Wasser), ein beruflich erfolgreiches und emanzipiertes Ehepaar in den Dreißigern, rüstet sich zu einer ungewöhnlichen Optimierung seines Bekanntenkreises und des Zeitmanagements.
Mithilfe eines sorgfältig inszenierten Abschiedsdinners für einige lästig gewordene Freunde möchte man sich schrittweise all jener Beziehungen entledigen, die sich über die Jahre hinweg leer- und totgelaufen haben und inzwischen mehr Verpflichtung als Vergnügen darstellen. Priorität unter den Auszusortierenden hat zunächst das befreundete Ehepaar Bea und Antoine Royer (Ralph Hönicke) – doch nur der selbstverliebte Antoine erscheint zum Essen, seine theaterschaffende Frau ist verhindert, was die Lage von vorneherein verkompliziert.
Nichtsdestotrotz nimmt das Dinner seinen Lauf – bis Antoine, dem die skurile »Entsorgungstechnik« bereits über einen weiteren gemeinsamen Freund bekannt ist, feststellen muss, dass Pierre und Clotilde soeben seinen persönlichen Abschied und damit das Ende ihrer Freundschaft zelebrieren.
Ab diesem Zeitpunkt nimmt das von vornherein sehr dynamisch und mit vielen pointierten Dialogen angelegte Geschehen zunehmend an Fahrt auf, folgt eine Pointe so rasch auf die nächste, dass es permanent hellwacher Aufmerksamkeit bedarf, um alles aufzunehmen, man sich gelegentlich eine Wiederholung oder eine Zeitlupe wünscht, auf jeden Fall aber von einem Lacher in den nächsten kullert und zwischendurch frenetischen Szenenapplaus spendet.
Überraschende Wendungen zwischen dramatischen Abgängen und reumütiger Wiederkehr, Tränen und Liebesbekenntnissen, Demaskierungen und Desillusionierungen, ein Selbstmordversuch mittels einer Handvoll Erdnüsse, emotionalen Gesprächen, Rollentausch der beiden Männer unter Zuhilfenahme von Adamskostümen, Zimmerpalmen und einem Garderobenständer in der Rolle der Clothilde sind nur ein Bruchteil des Arsenals, das Regisseur Stephan Bestier, Dramaturgin Ruth Schröfel, Regieassistentin Veronika Jocher und ihr Schauspielertrio hier auffahren.
Die atemberaubende Komödie des Erfolgsduos Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière endet mit einem Cliffhanger, offen bleibt, ob es bei diesem einen Versuch eines Abschiedsdinners bleibt – und welche Schlüsse der Zuschauer für seine eigene Freundschaften aus diesem heiteren Abend mit Tiefgang zieht.
»Ich frage mich, wie man so viel Text, alle Dialoge und Interaktionen in diesem Tempo überhaupt verinnerlichen und auch noch mit überzeugendem Körpereinsatz darstellen kann – das ist wirklich die hohe Kunst des Schauspiels und der Komödie«, stellte ein Zuschauer beim Hinausgehen nach dem begeisterten Abschlussapplaus fest und fasste damit Stimmung im Publikum treffend zusammen.
Martin Bringmann als der im Grunde gutmütige Pierre, Ralph Hönicke als dessen narzisstischer, zu Dauermonologen und Endlostherapien und ebensolchen Doktorarbeiten neigender Freund und die smarte, zielstrebige, selbstbewusste und schlagfertige Svenja Wasser als Clotilde verkörpern auf der Bühne ein eingespieltes Trio, das überzeugt, mitreißt, Publikum und Gesellschaft den Spiegel humorvoller Selbsterkenntnis vorhält und dabei keinen Augenblick lang Konzentration, Präsenz oder Glaubwürdigkeit verliert. Einfach sehenswert.
Inge Schneider