Karben. Die Ausstellungsräume des Karbener Landwirtschafts- und Heimatmuseums im Degenfeld’schen Schloss und die Landwirtschaftshalle verbreiten nostalgischen Charme. Mindestens 150 Jahre Dorfalltag und bäuerliches Leben wurden von den Aktiven des Karbener Geschichtsvereins liebevoll in Szene gesetzt. Das Museum ist nicht vergessen – auch wenn es derzeit wegen Corona geschlossen ist
Kaufmannsladen und altes Handwerk
In den thematisch eingerichteten Zimmern des Landwirtschafts- und Heimatmuseums findet man schnell besondere Hingucker und Lieblingsstücke. Der Kaufmannsladen im Parterre bildet ein Kolonialwarengeschäft im Original ab, das einst an der Groß-Karbener Bahnhofstraße stand. Es gehörte der Familie Taschner und ging nach der Schließung 1976 in den Besitz des Museums über. Neben alten Kassen, Waagen, Münzen und Banknoten aus der Inflationszeit sind vor allem die ausgestellten Verkaufsartikel von Interesse. Wer aber kann sich an die Kaffeemarken Faber oder Westhoff aus Bremen erinnern? Immer wieder fallen kleine Details auf, die man näher betrachten möchte.
Die Ausstellung im ersten Stock zeigt nicht nur altes Handwerk, sondern lässt die Blicke auch über den dörflichen Alltag von anno dazumal schweifen. Auf dem Flur, wo früher Gemeindekasse, Standesamt und Bürgermeisterei untergebracht waren, geht es inzwischen gemächlicher und weit weniger amtlich zu. Eines der Prunkstücke ist das Klassenzimmer aus dem 19. Jahrhundert mit Holzbänken, Lehrerpult und Tafel. Eine Handtafel mit dem Sütterlin-Alphabet liegt zum Üben bereit. Und wer mag, kann sich auch gleich an ganzen Wörtern oder Sätzen versuchen. Alteingesessene können mit etwas Glück vielleicht sogar noch ihren eigenen Namen unter den Bänken finden. Nicht wenige sollen sich irgendwo unter der Schreibfläche verewigt haben, sagt man in Groß-Karben.
Altes Klassenzimmer Highlight für Schüler
»Die Schulbänke gehörten teilweise zum Inventar der Groß-Karbener Volksschule«, erklärt Museumsdienstleiter Rainer Obermüller. »Auch der Pult und die Tafel stammen von dort. Einige Bänke im vorderen Bereich der Schulstube haben wir aus Rockenberg bekommen. So ist genug Platz, wenn Schulklassen unser Museum besichtigen.« Das alte Klassenzimmer sei das Highlight jeder Führung. Sobald wie möglich wolle man das Museum für den Publikumsverkehr wieder öffnen, kündigt Obermüller an.
Neben dem Klassenzimmer ist eine typische Wohnstube aus der Zeit des Historismus eingerichtet. Die Exponate sind allesamt Karbener Originale vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus Klein-Karben stammt ein massiver Safe, der einiges an Gewicht auf die Waage bringt. »Da ist aber nichts mehr drin«, weiß der Vorsitzende des Karbener Geschichtsvereins, Jürgen Hintz. Er und Rainer Obermüller vermuten, dass ein solches Wohnzimmer eher zum Standard besser situierter Familien gehörte. Normale Arbeiterfamilien um die Jahrhundertwende hätten es sich in diesem Stil wohl nicht leisten können.
Für Kinder und Kind gebliebene Erwachsene ist das Spielzimmer auf der anderen Seite des Ganges sicherlich ein weiteres Highlight. Besonders Puppenliebhaber dürften sich in diesem Ausstellungsraum angesprochen fühlen. Die ebenfalls präsentierten Kinder- und Stubenwagen kommen wie die allermeisten Exponate des Museums aus Karbener Haushalten und decken einen Zeitraum von über 100 Jahren ab.
Vermutlich größte Ausstellung in Hessen
Die Menge des vorhandenen Inventars ist enorm. Um alles den Besuchern zu zeigen, reicht kaum der Platz im Schlossgebäude und in der benachbarten Halle, wo historische Schlepper und Landwirtschaftsgeräte gezeigt werden. Tatsächlich ist nur ein Teil des insgesamt vorhandenen Konvoluts für die Öffentlichkeit zugänglich, der Rest lagert in einem abgetrennten Bereich. »Und es kommen immer noch neue und schöne Stücke dazu«, sagt der Museumschef. Ob das alles irgendwann einmal gezeigt werden könne, sei eher unwahrscheinlich. Allein die Landwirtschaftsausstellung soll die größte in Hessen sein. Doch ganz sicher sind sich Hintz und Obermüller nicht.
Aufgebaut wurde das Museum auf der Privatsammlung von Edmund Felber, die 1973 der Stadt Karben übergeben wurde. Nur mit einem Rucksack war der spätere Kommunalpolitiker 1946 nach Klein-Karben gekommen. Mehr war ihm bei der Flucht aus dem Sudetenland nicht geblieben. »Vielleicht war das der Grund dafür, dass er mit dem Sammeln anfing«, meinte Obermüller an anderer Stelle einmal. »Seinen Rucksack haben wir auch noch im Museum.«
Von Jürgen Schenk