Karben. „Für eine geringe Entlastung des Ortskerns wird eine erhebliche Belastung am Ortsrand in Kauf genommen.“ Heinz Schülke kämpft gegen die Nordumgehung Groß-Karben. Das macht der einstige grüne Ortsvorsteher seit Jahren. Nun kann er es endlich auch offiziell zu Protokoll geben.
Schülke sitzt mit seinem Mitstreiter Axel Kreutz von der Bürgerinitiative „Rettet die Nidda-Aue“ (BI) an diesem Montagmorgen im Saal des Bürgerzentrums. 30 Bürger und Einwender von Verbänden und Institutionen um ihn herum.
Vorne haben zehn Straßenplaner und Vertreter des Darmstädter Regierungspräsidiums (RP) Platz genommen. Stundenlang werden sie sich über Verkehrsbelastung, Immissionsschutz und Umweltschutz auseinander setzen.
Das Ganze nennt sich Erörterungstermin. Den sieht das deutsche Planungsrecht vor. Zuvor konnten Bürger und andere Behörden Einblick in die Planung nehmen und Einwände geltend machen. 160 sind es im Fall Groß-Karben. Nun debattieren die Planer vom Gelnhäuser Amt für Straßen- und Verkehrswesen (ASV) mit den Einwendern.
Dabei sollen die Gegner doch noch vom Sinn der Planung überzeugt werden. Klappt das nicht, wägt das Regierungspräsidium die Einwendungen ab. Und auf dieser Basis genehmigt das hessische Verkehrsministerium den Bau.
Überzeugen lassen sich die Bürger, die seit Jahren in der BI contra Umgehung organisiert sind, kaum. „Das klingt mehr nach einer Verkaufsveranstaltung für ein politisch längst beschlossenes Projekt“, sagt Anwohner Christian Bollinger. Die Planer am Fronttisch geben ruhig und umfassend Auskunft – auch, wenn die Fragen mal emotional formuliert werden. „Für uns ist die Aue danach verdorben und verhunzt und die Landschaft auch“, sagt Heinz Schülke.
Die Straße soll über 3,2 Kilometer von der B 3 am Berufsbildungswerk bei Kloppenheim bis zur Kreisstraße nach Heldenbergen am Westende des Karbener Waldes führen. Der Bau soll das Land zwölf Millionen Euro kosten. Verkehrsminister Alois Rhiel (CDU) rechnet mit dem Baubeginn „noch in diesem Jahrzehnt“.
Dass es zu laut und zu dreckig werden könnte, Natur und Naherholungsgebiete in der Nidda-Aue zerstört werden und die Bahnhofstraße in Groß-Karben weniger entlastet wird als vorhergesagt – das sind die zentralen Argumente der Gegner. „Die Wohnqualität wird drastisch beeinträchtigt“, fürchtet Axel Kreutz. „Wir brauchen einen umfassenden Lärmschutz“, fordert Heinz Schülke. Wenn die Fahrzeuge rund um den künftigen Kreisverkehr beschleunigten, werde es laut.
Stimmt nicht, sagt ASV-Chef Heiko Durth. „Kreisverkehre sind die am wenigsten lärmintensiven Kreuzungen.“ In den Modellen seien Beschleunigung und Bremsvorgänge einkalkuliert worden. Und die im Laufe der Zeit wechselnde Qualität des Fahrbahnbelages sei berücksichtigt worden, ergänzt Planer Lutz Dathe. „Die praktische Erfahrung zeigt, dass die Messwerte nach dem Bau immer besser sind als vorausberechnet.“
Zudem verspricht Bürgermeister Roland Schulz (SPD), die Stadt wolle – wenn ihre Gremien zustimmen – den geplanten Lärmschutzwall auf eigene Kosten noch verlängern. Diesem Versprechen glaubt Heinz Schülke nicht. „Das hätte der Bürgermeister längst in eine glaubwürdige Form gießen können.“
Vielfach greifen die Gegner der Straße die Verkehrsprognose an. Ihr zufolge sollen nur noch 4500 statt 13 400 Fahrzeuge pro Tag durch die Bahnhofstraße rollen. „Aber mit Eröffnung der Nordumgehung Bad Vilbel hat sich der Zustrom aus Heldenbergen doch drastisch reduziert“, findet Schülke. Daher seien die Zählungen von 2003 nicht mehr verwendbar. „Wir fordern eine Neuberechnung des zu erwartenden Verkehrsaufkommens.“
Solche Kritik lässt die Planer kalt. Alle Berechnungen seien nach gültigen Vorschriften gemacht worden, erklärt ASV-Chef Durth. Die Prognosen beinhalteten alle bekannten Planungen – nicht nur für Straßen, sondern auch für neue Wohn- oder Gewerbegebiete. Auch Wind- und Klimadaten. Was etwa bedeutet, dass sich der Feinstaubanteil in 150 Metern Entfernung nur um 0,2 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft erhöht, erklärt Dathe.
Nicht zu Wort melden können sich an diesem Tag die Befürworter. Deren BI „Nordumgehung jetzt!“ hatte über Monate hinweg 3000 Unterschriften gesammelt. Trotzdem läuft die Debatte Stunde um Stunde. „Der klassische Konflikt“, wie ihn ASV-Chef Durth nennt. „Die Betroffenen wünschen sich die Straße möglichst weit weg“, während Naturschützer und Landesplanung eine Trasse möglichst nah am Ort bevorzugen, um die Landschaft zu schonen. „Unser Ziel ist es, diese Ansprüche verträglich miteinander zu verbinden.“
Ob das gelingt? Darüber muss das Verkehrsministerium entscheiden. Dort werden Planung und Gegenargumente abgewogen, daraus die Genehmigung entwickelt. Über die urteilen dann vielleicht Gerichte. Heinz Schülke zumindest ist entschlossen, diesen Weg zu gehen. „Ich glaube nicht, dass die Nordumgehung gebaut wird.“
Dagegen ist Oberplaner Heiko Durth ebenso zuversichtlich. „Wir planen ja nicht einfach so, dass es passt. Sondern es muss gerichtsfest sein.“ (den)