Bad Vilbel. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries war die Hauptrednerin des traditionellen Neujahrsempfangs der Bad Vilbeler SPD. Die Sozialdemokratin wandte sich mit offenen Worten zur Landes- und Bundespolitik an die im großen Kurhaussaal Versammelten. Eingangs hielt SPD-Landtagskandidat Udo Landgrebe (Bad Vilbel) eine kämpferische Rede. Er rief zum Engagement für echte Ganztagsschulen, zur Abschaffung von G 8 auf, plädierte für kleinere Schulklassen und für stressfreie Vereinbarkeit von Familie und Beruf auf.
Vereine und Verbände sollten das Geld zurückbekommen, „das die Koch-Regierung ihnen in der Operation ’düstere Zukunft’ gestrichen hat“, forderte der Genosse. Der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel sei intelligent genug, „um Roland Koch alt aussehen zu lassen“.
Brigitte Zypries, die über den Wahlkreis Darmstadt-Dieburg in den Bundestag gewählt wurde, machte in ihrer Rede keinen Hehl daraus, „dass die SPD viel Vertrauen verspielt habe“. Es sei vor der Wahl etwas anderes erklärt worden als nach der Wahl. Und schließlich hätten die Abweichler „erst auf den letzten Drücker ihr Gewissen entdeckt“. „Das war kein guter Auftritt, wir haben Fehler gemacht“, sagte die Bundesministerin aus Hessen und fügte hinzu: „Wir haben im Unterschied zur CDU personelle Konsequenzen gezogen.“ Zypries leitete zur Bundespolitik über. Eigentlich habe die Berliner Koalition eine gute Bilanz ziehen können. Unter drei Millionen Arbeitslose, der Arbeitslosenbeitrag mehr als halbiert und vieles andere nannte sie als Argumente. Aber mit dem abrupten Zusammenbruch der US-amerikanischen Lehmann-Bank sei alles anders geworden. „Der Wirtschaftsaufschwung ist am Ende und keiner weiß, wie es weiter geht“, sagte sie. Die Vorstellung, der Markt richtet es schon, sei völlig überholt, ist sie überzeugt. Zypries erklärte, es müsse jetzt staatliche Investitionen in die Infrastruktur geben. Außerdem müsse der Konsum angeregt werden. Schon heute liege die Sparquote der deutschen Haushalte bei elf Prozent. Besser wäre es nach Auffassung der Ministerin, dieses Geld auszugeben: „Gehen Sie morgen in die Stadt und kaufen Sie ein“, sagte sie. Bundesministerin Zypries bevorzugte, wie sie erklärte, den Vorschlag von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die 0,9 Prozent Krankenversicherung staatlich zu finanzieren. Das bringe neun Milliarden Euro für den Konsum. Zu überlegen sei aber auch die Senkung des Eingangssteuersatzes von 15 auf zwölf Prozent, doch von Steuersenkungen halte sie grundsätzlich nicht allzu viel, denn die Hälfte der Bevölkerung zahlten gar keine, die acht Prozent Reichen aber immerhin 50 Prozent aller Steuern. Zypries Schlussworte zur aktuellen Finanzkrise: „Wir tasten uns vorwärts. Keiner hat ein Rezept, weil wir eine solche Krise noch nie gehabt haben. Mal sehen wie wir morgen lang kommen.“