Karben. „Meiner Selina geht es Gott sei Dank wieder etwas besser. Ihre Verletzungen sind zwar schmerzhaft, aber glücklicherweise nicht ganz so ernst wie zunächst vermutet.“ Die Mutter kämpft mit den Tränen, als sie das erzählt. Sie steht auf der Groß-Karbener Reitanlage am Ludwigsbrunnen – wo ihre Tochter Selina R. (14) Anfang letzter Woche nach einem schweren Reitunfall mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden musste.
Selina kann sich heute, berichtet die Mutter, weder an den Unfall selber erinnern noch an die Umstände, wie es dazu kommen konnte. „Sie hat ganz, ganz großes Glück gehabt“, ergänzt Notarzt Dr. Tobias Philipp. Auch er ist aktives Mitglied des Reitvereins Karben und war an jenem Tag zufällig zum Zeitpunkt des Unfalls auf der Reitanlage anwesend, konnte schnell helfen.
Anfangs befürchteten alle, dass die erfahrene, junge Reiterin lebensgefährlich verletzt sein könnte, nachdem sie mit ihrem Pferd gestürzt war. Doch Selina hatte Riesenglück – und das nicht nur durch Zufall. „Ihre gute Ausbildung und ihre vorschriftsmäßige Ausrüstung kamen hinzu.“ Darauf weist der Leiter und gleichzeitig auch Trainer der Reitanlage, Thomas Wamser, hin.
Er hat am Sonntag seine Reitschüler und deren Eltern zu einer speziellen „Sicherheitsstunde“ in die Reitstube der Anlage zwischen Groß-Karben und Burg-Gräfenrode geladen. „Zwei Regeln werden ab sofort noch schärfer kontrolliert und im Wiederholungsfall mit einem vorübergehenden Reitverbot geahndet. Das ist zum einen das Reiten ohne Schutzhelm für Jugendliche und zum zweiten alleiniges Ausreiten für Jugendliche unter 18 Jahre“, beginnt Wamser seine „Sonderstunde“. Dann erklärt er ausführlich, welche Gefahren beim Reiten im freien Gelände entstehen können. Da das Pferd ein „Fluchttier“ ist, das am liebsten so schnell wie möglich nach vorne weglaufen will, kann es dabei passieren, dass der Reiter die Kontrolle über das Tier verliert. In solch einem Falle gebe es grundsätzlich nur zwei Möglichkeiten für den Reiter: Entweder sich vom Pferd fallen lassen oder einen Acker oder eine Wiese suchen, auf dem man das Pferd mit viel Kraft zu einer Wende zwingt. Beschlagene Pferde im hohen Galopp haben auf Asphalt oder Beton kaum noch Halt und stürzen deshalb gerade bei den Übergängen, wenn sie von einem Feldweg auf eine Straße kommen, sehr leicht.
Für den erfahrenen Reitlehrer Wamser gilt deshalb als oberste Regel, das Pferd immer unter Kontrolle zu halten. „Ein Pferd wiegt bis zu 600 Kilogramm. Und da hat man als Reiter keine Chance, wenn so ein Fleischkoloss einmal stürzt“, mahnte Wamser vor allem die vielen jungen Reitschüler an diesem Nachmittag. Vorsicht ist deshalb auch bei privaten Pferden geboten, da Schulungspferde im Allgemeinen auf ihre Gutmütigkeit und ihr Phlegma hin ausgesucht werden.
Ungeübte Pferde seien viel schreckhafter und wilder und neigten daher viel öfter zum Durchgehen. Da aber Unfälle nie ganz auszuschließen sind, so Wamser weiter, müsse der Rest halt stimmen. Und das sind eine gute Ausrüstung und eine noch bessere Ausbildung. „Ein Reiter ohne Helm und entsprechende Reitkleidung ist wie ein Motorradfahrer mit Nachthemd und Bommelmütze. Beides ist lebensgefährlich“, sagt der Reitlehrer.
In die gleiche Kerbe schlägt anschließend Notarzt und Hobby-Reitlehrer Dr. Philipp. „Tragt den Helm nicht nur beim Reiten, sondern auch beim Fahrradfahren“, redete er auf die Jugendlichen ein. Mehr als zehn Prozent aller Unfallopfer endeten später im Rollstuhl. Sicherer ist also nur, wer die richtige Ausrüstung trägt, wenn er reitet, Fahrrad fährt oder rollerbladet.
Falls es aber zu einem Unfall kommen sollte, dann sei es vorteilhaft, auch richtig versichert zu sein. Darauf weist Klaus-Peter Schramm hin, Vereinsmitglied und Vater von zwei reitenden Töchtern. Denn Sportunfälle passierten nun einmal meistens in der Freizeit und seien deshalb von der gesetzlichen Versicherung nicht abgedeckt.